Südossetien und die Heuchelei des Westens

 

12. August 2008

Tausende tote ossetische Zivilist/inn/en, die südossetische Hauptstadt Zchinwali durch die georgische Artillerie weitgehend in Trümmer geschossen. Etwa die Hälfte der südossetischen Bevölkerung auf der Flucht. Schließlich der kleinlaute Rückzug der georgischen Truppen. Das ist die vorläufige Bilanz von Michail Saakaschwilis Angriffskrieg.

Viele Schreiberlinge westlicher Medien, die 1999 angesichts deutlich weniger Toter in Kosova von „Völkermord" schrieen, mit zynischen „Nie-wieder-Auschwitz"-Rufen nach einem NATO-Angriff auf Serbien verlangten und sich zuletzt für die Anerkennung von Kosova als unabhängigen Staat stark machten, hören sich jetzt völlig anders an. Sie empören sich nicht über die georgische Aggression gegen eine nach Unabhängigkeit strebende Volksgruppe, sondern stellen in einer Art Kalter-Krieg-Reflex „die Russen" als Bösewichte dar. Von einer „abtrünnigen Provinz" und von ossetischen „Separatisten" ist jetzt die Rede.

Einige der „freien Medien" haben anfänglich sogar bereitwillig die georgisch-US-amerikanische-Propaganda nachgeplappert, wonach es von ossetischer Seite ständig militärische Provokationen gegeben habe. Eine lächerliche Behauptung, hatte doch Südossetien – im Unterschied zur georgischen Führung – kein Interesse an einer Veränderung des Status quo.

Ein besonders jämmerliches Beispiel von US-Propaganda-Journalismus ist etwa Markus Bernath vom österreichischen liberalen Schmierblatt DerStandard. Herr Bernath steckt dermaßen tief im Arsch des US-Imperialismus, dass er den Blick für Realitäten völlig verloren hat. In seiner Einschätzung sprach er – in einer Mischung aus Wunschtraum und Dummheit – von einem „kalkulierten Risiko" Saakaschwilis und wetterte gegen das „Separatistenregime" in Südossetien, das (gemeinsam mit Abchasien, Berg-Karabach etc.) „das politische Klima an diesen Ostgrenzen Europas vergiftet und eine normale demokratische Entwicklung verhindert" habe. In Kosova war ihnen das Recht auf Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit heilig, aber der Wille der südossetischen Bevölkerung ist Herrn Bernath und den anderen NATO-hörigen Sesselfurzern in den Redaktionsstuben in ihrer eingeklemmten Lage scheißegal.

Durchwegs wurde in den deutschsprachigen bürgerlichen Medien Russland als Aggressor hingestellt. Von dem, was die südossetische Bevölkerung will, ist überhaupt nicht die Rede. Der ORF berichtete überwiegend von den Ängsten der Einwohner/innen in Tiflis vor Bombardierung und kaum von der dramatischen Situation der zehntausenden ossetischen Flüchtlinge. Viele westliche Berichterstatter/innen reproduzieren einfach die Klagen von georgischen Offiziellen, dass der Westen Georgien nicht unterstütze. Kein Wort darüber, dass der georgischen Zivilbevölkerung die jetzige Entwicklung erspart geblieben wäre, wenn Saakaschwilis Truppen nicht Südossetien überfallen hätten.

Hat der georgische Präsident allen Ernstes gedacht, er könne vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele mit einem Militärschlag Südossetien auf die Schnelle an sich reißen, die Bevölkerung vertreiben und so vollendete Tatsachen schaffen? Dass Saakaschwili ein CIA-Mann war und 2004 mit der Hilfe diverser US-finanzierter „NGOs" an die Macht kam, ist ein offenes Geheimnis. Darüber, wie weit er aktuell in Absprache oder im Auftrag seiner Hintermänner in Washington agiert hat, ob er Hilfszusagen von US-Stellen hatte oder wohlwollende Worte so verstehen wollte, wie weit womöglich auch noch Wahlkampfmotive der Bush-Cheney-McCain-Clique eine Rolle spielen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Das ist für uns aber auch nicht entscheidend.

Als Marxist/inn/en zählt für uns in erster Linie der Wille der südossetischen Bevölkerung. Ohne Zweifel will die große Mehrheit der Bevölkerung in Südossetien nicht unter georgischer Herrschaft leben. Sie haben deshalb jedes Recht, sich unabhängig zu erklären (wie es Georgien 1991 getan hat) und sich gegen Aggressionen der georgischen Regierung und Armee zu wehren.

Wir haben das Selbstbestimmungsrecht der Kosovar/inn/en verteidigt (siehe dazu unseren ausführlichen Artikel zur Lostrennung) und verteidigen jetzt das der Osset/inn/en. Dass die Regierung Südossetiens ein nicht weniger bürokratisch-autoritäres Regime ist wie in Georgien, ist ebenso klar, wie dass die russische Regierung ihre Truppen aus Eigeninteresse nach Südossetien schickt. Angesichts der georgischen Drohungen blieb den Südosset/inn/en freilich auch keine Wahl, als sich auf russische Hilfe zu stützen und dafür eine Verstärkung des schon jetzt bestehenden russischen Einflusses in Kauf zu nehmen.

Falls der russische Militäreinsatz in einen Krieg zur Besetzung Georgiens übergehen sollte, würde sich unsere Haltung ändern. Das ist aber nicht absehbar und unsere Position ist deshalb die der kritischen Solidarität mit Südossetien.

 

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