August 2012
Einleitung des ARKA: Die Großkonzerne in Frankreich haben die Wahlen im Mai/Juni abgewartet. Jetzt kündigt einer nach dem anderen Massenentlassungen an: etwa Renault, Alcatel und insbesondere der Peugeot-Citroen-Konzern, der die Anzahl der Beschäftigten gleich um 8.000 reduzieren will. Das Werk in Aulnay, nordöstlich von Paris, soll überhaupt geschlossen werden. In diesem Werk wird die (traditionell der französischen KP nahestehende) Gewerkschaft CGT von der trotzkistischen Lutte Ouvrière dominiert und geführt. Auf der Grundlage dieser starken Verankerung kämferischer Kräfte gab es 2007 in Aulnay einen sechswöchigen Streik für höhere Löhne, der mit einem Teilerfolg endete. Nun, auch während der Urlaubssperre des Werkes im August, bereiten sich die Arbeiter/innen und insbesondere die LO auf den bevorstehenden Kampf gegen die Entlassungen vor. Anfang August gaben uns die Genoss/inn/en folgenden Bericht, den wir nur leicht redaktionell bearbeitet haben.
Vorgeschichte
Das Citroen-Werk in Aulnay, in der Nähe von Paris, gehört dem PSA-Peugeot-Konzern und hat heute 3.300 Beschäftigte. Die CGT-Gewerkschaft in diesem Werk, die von Genoss/inn/en der LO geleitet wird, hat bereits im Juni 2011 ein heimliches Papier bekommen, das die Gewerkschaft nicht kennen sollte. Es handelte sich um ein internes Papier der Konzernleitung, das explizit die Schließung von drei Standorten beabsichtigte: zwei in Frankreich (in Aulnay und in Sevelnord, Nordfrankreich) und einen in Madrid, Spanien. Es wurde sogar angegeben, es wäre klüger, aus taktischen Gründen die ganze Sache erst nach den Wahlen 2012 in Frankreich anzukündigen. Natürlich leugnete die Konzernleitung diesen Plan sofort und behauptete, es sei nur ein „Arbeitspapier". Aber die Gewerkschaft hatte jetzt einen Vorteil: Sie kannte die Pläne des Feindes ganz genau. Und wir können dem leitenden Angestellten (oder der in den oberen Etagen arbeitenden Sekretärin) danken, der/die das Papier anonym an die Gewerkschaft übermittelt hat.
Natürlich haben unsere Genoss/inn/en die Information sofort öffentlich gemacht: Pressekonferenz der Gewerkschaft, Flugblätter, Belegschaftsversammlungen usw. Aber sie haben auch sofort das Gefühl gehabt, dass es keine Stimmung für einen Streik gab. Ein Teil des Beschäftigten glaubte der CGT nicht, die im Standort als Gewerkschaft in der Minderheit ist. Für sie war diese Aussage eine Übertreibung. Außerdem war die Perspektive kein Kampf für die Löhne wie 2007, aber gegen die Werkschließung. Ein solcher Kampf, gegen die Entscheidung eines internationalen Konzerns ist immer schwierig. Dazu ist es notwendig, die meisten Arbeitenden in den Kampf hineinzuziehen. Das bedeutet besonders diejenigen zu überzeugen, die nicht ohnehin dem CGT-Umfeld angehören.
Das Verhalten der SIA
In dieser Hinsicht war das Verhalten der SIA eine kleine Überraschung. Diese Gewerkschaft ist die Erbin der CFT, einer gelben, antikommunistischen Gewerkschaft, die es bei Citroen immer gab und die in der früheren Periode von der Werkleitung als Streikbrecherin benutzt wurde. Im Verlauf der Jahre und nach den kämpferischen Streiks von 1982 und 1984 handelte sie nicht mehr wie eine Schlägertruppe gegen die Flugblatt-Verteiler, aber sie blieb eine Gewerkschaft mit einer reaktionären Orientierung. Für alle war sie die „Gewerkschaft der Leitung".
Aber als die CGT die Information über die Pläne des Konzerns öffentlich machte, fühlte sich die Leiterin der SIA von der Werksleitung verratet. Und sie sagte, dass sie mit der CGT an allen Protestaktionen teilnehmen würde. Natürlich war ihr Ziel begrenzt: die Konzernleitung zu Verhandlungen zu zwingen. Aber ihre Reaktion ermöglichte es, dass sogar das SIA-Milieu, das diese Gewohnheit gar nicht hatte, an diesen Aktionen teilnahm.
Der Verlauf des Jahres: eine Vorbereitungsphase
Also war das Jahr zwischen Juli 2011 und heute eine Vorbereitungsphase. Im Werk selbst haben sich die entschlossensten Arbeiter/inne/n das Ziel gegeben, mit allen Arbeitenden individuell oder in kleinen Gruppen zu reden - um die Stimmung der ganzen Belegschaft genau zu messen und die entschlossensten Arbeiter/innen zu finden. Und regelmäßig organisierten sie Aktionen, um die Mobilisierung aufrechtzuerhalten: Warnstreiks, Demos vor dem Konzern-Sitz, Demo im Vorort, wo das Werk liegt, mit dem Versuch die örtliche Bevölkerung miteinzubeziehen.
Organisatorisch führten alle diese Aktionen zur Bildung eines Kerns von 200-300 kämpferischen Arbeiter/innen um die Aktivist/inn/en der CGT herum (aus einer Gesamtzahl von eben gut 3.000 Arbeitenden). Man konnte auch einen Ordnerdienst der Gewerkschaft bilden, mit vielen Jungarbeitern aus Migrationsfamilien. Dieser Ordnungsdienst operiert jetzt mit ungefähr 60 Mitgliedern, mit Gruppenverantwortlichen, die das Vertrauen der anderen haben.
Illusionen in die sozialdemokratische Regierung
Aber gleichzeitig blieb die Kampfbereitschaft begrenzt und, da wir eine sehr lange Wahlperiode erlebt haben, haben auch die Illusionen in die erhoffte zukünftige sozialdemokratische Regierung zugenommen. Viele Beschäftigte sagten, dass (der SP-Führer François) Hollande zumindest etwas gegen den Schließungsplan tun würde. So berichtete einer unserer Genossen: „Mehrere Arbeiter, sogar des CGT-Umfelds, haben mich gefragt: Wie kannst du sagen, dass die SP nichts für uns tun wird? Hast du einen Beweis dafür? Und als ich antworte: Was hat die vorige sozialdemokratische Jospin-Regierung gegen die Entlassungen gemacht? Nichts. Und schau´, was die SP in Griechenland und in Spanien (bis vor kurzem) tut... aber das überzeugte sie nicht" Und viele haben bei der Parlamentswahl, sogar in der ersten Runde, die SP gewählt, obwohl mehrere LO-Aktivist/inn/en des Betriebs kandidiert haben, insbesondere Jean-Pierre Mercier, der Vize-Vorsitzende der CGT in Aulnay, der unserer Sprecher für die Pariser Gegend ist.
Die Nachricht der Werkschließung
Letztendlich hat am 12. Juli die Konzernleitung die Streichung von 8.000 Arbeitsstellen im ganzen Trust und die Schließung des Aulnay-Werkes (spätestens Anfang 2014) angekündigt. Und gleichzeitig begann eine Propagandakampagne in den Medien (es gibt eine Abnahme der Verkäufe von Autos, Peugeot hat keine andere Wahl...). Aber gleichzeitig hat die Konzernleitung selbst bekannt gegeben, dass sie über "Finanzrücklagen" von 10 bis 12 Milliarden Euro verfügt. Man kann hinzufügen, dass die Familie Peugeot selbst etwa 4,5 Milliarden Euro in den Steueroasen geparkt hat, oder dass die Aktionäre während der letzten 12 Jahre 2,7 Milliarden Euro gekriegt haben. Das alles bedeutet, dass der Konzern sehr leicht eine kleine Rücknahme der Autoverkäufe ertragen könnte, ohne Stellenstreichungen und Lohnverluste. Die Ankündigung vom 12. Juli war jedenfalls eine echte Kriegserklärung gegen die Arbeitenden des Konzerns, gegen die Leiharbeiter/innen, die Beschäftigten der Subfirmen... und auch eine Ermutigung an alle Unternehmer des Landes, dasselbe zu tun.
In Aulnay gab es bei der Ankündigung der Werkschließung sofort eine Betriebsversammlung, Diskussionen überall im Betrieb und während zwei Tage hat man nicht gearbeitet. Es war kein offizieller Streik und die Leitung hat es geduldet (und hatte es auch sicher vorhergesehen). Nur in einem anderen Werk (in Rennes, in der Bretagne), wo 1.200 Arbeitsstellen verschwinden sollen, gab es einen Warnstreik, für ein paar Stunden.
Die Vorbereitung des echten Kampfes
Aber in Aulnay gab es auch Hunderte von Arbeitenden die total niedergeschlagen waren. Das bedeutet, dass sie nie der CGT (und auch der SIA!) geglaubt hatten. Die erste Aufgabe war es, diejenigen aufzumuntern, die ganz demoralisiert waren. Und der Kern von 200-300 kampfbereiten Arbeiter/inne/n hat dazu viel beigetragen, indem sie im ganzen Werk ausgeschwärmt sind und mit den anderen diskutiert haben.
Danach haben die bewusstesten Aktivist/inn/en und besonders diejenigen, die schon am Streikkomitee von 2007 teilgenommen hatten, begonnen, in verschiedenen Abteilungen und Schichten Vertreter/innen wählen zu lassen – mit dem Ziel, ein Organisationskomitee für den bevorstehenden Kampf zu bilden. Sie erklären den Arbeitenden, dass es im Betrieb mehrere Gewerkschaften, mit verschiedenen Orientierungen gibt, dass die meisten Arbeitenden nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Unter diesen Bedingungen ist es unentbehrlich, dass der kommende Kampf, damit die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gewerkschaften nicht zur Lähmung des Streiks führen werden, von einer demokratischen Struktur geleitet wird, die Nicht-Mitglieder und Mitglieder der Gewerkschaft zusammenfasst. In diesem Gremium werden alle im Betrieb anwesenden Gewerkschaften, die für den Kampf sind, ihren Platz finden. Aber die Leitungen dieser Gewerkschaften - außer der CGT - sind für den Moment gegen dieses Organisationskomitee, sogar wenn alle erklärt haben, dass sie gegen die Werkschließung kämpfen werden.
Kampfperspektive
Von der offiziellen Ankündigung der Werkschließung am 12. Juli bis zu den Werksferien ab 27. Juli gab es ständige Diskussionen in Aulnay und auch in Rennes, und zwei Demonstrationen (mit Abordnungen von allen PSA-Standorten und anderen Automobilwerken) fanden vor dem Sitz des Konzerns in Paris statt. Eine Betriebsversammlung soll sofort nach der Wiederaufnahme der Arbeit am 4. September abgehalten werden. Die Arbeitenden von PSA haben gezeigt, dass sie bereit sind, sich zu verteidigen, ohne sich von den Lügen ihres Bosses, der Regierung und der Medien beeindrucken zu lassen. Das ist die einzige lohnende Antwort, um ihren Arbeitsplatz und ihren Lohn zu verteidigen.
Sicher ist: Um PSA zu einem Rückzieher zu zwingen, wird es nicht genügen, in Aulnay allein zu kämpfen. Also wird ein wichtiges Ziel der zukünftigen Streiks sein, ihn auszudehnen und besonders auf die anderen Peugeot-Werke, wohin die Leitung die aktuelle Produktion von Aulnay verlagern will. Deshalb ist folgende Losung sehr wichtig: „Aufteilung des vorhandenen Arbeit auf alle Hände, in allen Werken des Konzerns, mit gleichem Lohn". Und über PSA und die Automobilindustrie kann man sich auch an die Arbeitenden der anderen Branchen wenden. In den folgenden Monaten wird die ganze Arbeiter/innen/klasse vor einem Abwehrkampf stehen.