23. Juni 2011
Der griechische Staat hatte versucht, dem antikapitalistischen Aktivisten Aris Seirinidis einen Mordversuch an Polizisten anzuhängen. Nach einer konstruierten Anklage und einem skandalösen Prozess wurde Aris am 23. Juni freigesprochen – in einer ausgesprochen knappen 4:3-Abstimmung.
Anfang Mai 2010 war Aris in Athen verhaftet worden. Nachdem sie ihm zuerst den Überfall auf einen Baumarkt anhängen wollten, entschied sich der Justizapparat schließlich, ihn wegen eines angeblichen bewaffneten Angriffs auf Polizisten anzuklagen. Der Prozessbeginn wurde offensichtlich bewusst hinausgezögert, um den anarchistischen Aktivisten – auch im Falle eines Freispruches - möglichst lange in Haft halten zu können.
Nach zehn Monaten Gefängnis begann im März dann endlich das Verfahren und war schließlich Mitte April nahezu fertig abgewickelt (wir haben berichtet). Sämtliche Belastungszeugen, die die Polizei aufbieten konnte, hatten bereits ausgesagt, der Hauptzeuge der Polizei war plötzlich verschwunden und angesichts der jämmerlichen „Beweise" sah die Sache für Polizei/Justiz nicht gut aus. Es war abzusehen, dass sie bei den Geschworenen niemals einen Schuldspruch hinkriegen.
Deshalb haben sie dann zu einem neuen Trick gegriffen, um den Prozess weiter zu verschleppen: Die Richterin hat sich für einen Monat krank gemeldet – und das gab dem Staat das Recht, die Richterin auszutauschen. Mitausgetauscht wurden auch gleich die Geschworenen, mit denen es für die Anklage nicht so gut gelaufen war, und der Prozess wurde völlig neu, also von Anfang an, gestartet. Und da die neue Richterin Einarbeitungszeit brauchte, ging es erst Anfang Juni neu los.
In diesem zweiten Verfahren versuchte die Staatsanwältin alles, um auch ohne Beweise einen Schuldspruch hinzukriegen. Beispielsweise zog sie diverse ZeugInnen der Verteidigung und sogar Aris´ verstorbenen Vater in den Dreck. Obwohl die Anklage offensichtlich politisch konstruiert war und die Justiz einfach nichts in der Hand hatte, war die Lage für Aris bis zuletzt sehr gefährlich. Denn über Schuld oder Unschuld entscheiden sieben Stimmen: drei RichterInnen und vier Geschworene – und die Geschworenen werden nur aus BeamtInnen des Staates (meist von Ministerien) ausgelost; eine einfache/r ArbeiterIn kann niemals Geschworene/r werden. Dass die drei RichterInnen Bütteln des herrschenden kapitalistischen Ausbeutungssystems sind und auch ohne Beweise gegen einen Aktivisten entscheiden, war zu befürchten – und dann muss nur noch ein/e Geschworene/r reaktionär oder vom Staat unter Druck gesetzt worden sein und Aris könnte für sehr lange hinter Gittern verschwinden.
Die 4:3-Mehrheit für den Freispruch kam dann auch so zustande, dass die drei RichterInnen für schuldig stimmten, die vier Geschworenen aber für unschuldig. „Verurteilt von den Hunden der Justiz, freigesprochen vom Volk", wie sich eine Prozessbeobachterin ausdrückte. Die aktuelle Massenbewegung in Griechenland hat sicher dabei geholfen, dass die Entscheidung von allen vier Geschworenen eindeutig war. Die Spaltung zwischen dem Staatsapparat und der griechischen Gesellschaft, der Hass der ArbeiterInnenklasse und auch der Mittelschichten auf die Regierung und ihre Repressionsorgane wird immer größer.
Wir bewundern die Stärke und die Kraft, mit der Aris die Zeit im Gefängnis durchgehalten und mit der er auch „drinnen" den sozialen Kampf fortgesetzt hat. Wir freuen uns sehr mit Aris, seiner Familie, seinen FreundInnen und GenossInnen, dass er endlich raus kann aus dem Gefängnis. Wir vergessen dem Klassenstaat aber nicht, dass Aris fast 14 Monate aufgrund einer konstruierten Anklage eingesperrt war, dass sein Vater Kostas Seirinidis in Folge dieser Repression einen Herzinfarkt hatte und starb, dass noch viele weitere antikapitalistische AktivistInnen in griechischen Gefängnissen sitzen.
Es ist offensichtlich, dass der Prozess gegen Aris selbst mit bürgerlich-demokratischen Minimalstandards nichts zu tun hatte. In Griechenland sprachen viele Prozessbeobachter bereits von einer Annäherung an die rechtlichen Zustände in der Militärjunta. Und angesichts des zugespitzten Klassenkampfes in Griechenland sind weitere staatliche Repressalien gegen AktivistInnen der Bewegung durchaus wahrscheinlich. Für all diejenigen, die irgendwelche Illusionen in eine vermeintliche Neutralität von Staat und Justiz im Kapitalismus haben, ist der Prozess gegen Aris ein Lehrbeispiel für die bürgerliche Klassenjustiz.
Aris sagte nach seiner Freilassung, dass die Zeit im Gefängnis für ihn eine neue Erfahrung des Klassenkampfes war und dass in Griechenland neue und größere Kämpfe bevorstehen, in die er mit Entschlossenheit gehen will. All unsere Solidarität gilt der griechischen ArbeiterInnenklasse, der gegenwärtigen Avantgarde des europäischen Proletariats, und insbesondere ihren revolutionären AktivistInnen, denen in diesen Kämpfen eine besondere Bedeutung zukommen wird.
Abschließend wollen wir uns bei all denjenigen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, in Frankreich, den USA und Argentinien bedanken, die unsere internationale Solidaritätskampagne für die Freilassung von Aris unterstützt haben.