Wie lange noch, bis der Pflege der Kragen platzt?

 

 

20.6.2022

 

 

Am 12. Mai hat der grüne Minister Rauch das angeblich „größte Reformpaket der letzten Jahrzehnte für die Pflege“ bekannt gegeben. Am Tag, wo Tausende von Pflegekräften in Wien, aber auch aus den anderen Bundesländern für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert haben, wollte sich die Regierung in gutem Licht präsentieren … ohne auf die Forderungen des Pflegepersonals einzugehen. Eigentlich ist dieses Paket nicht mehr als eine Mogelpackung und wieder einmal ein Zeichen der Verachtung für die Beschäftigten in der Pflege und die Bevölkerung, die auf ein gutes Gesundheitswesen angewiesen ist.

Schon lange ist bekannt, dass 100.000 Pflegekräfte bis 2030 fehlen werden. Die Zahl der Gefährdungsmeldungen durch die Beschäftigten im Gesundheitswesen ist in den letzten beiden Jahren stark gestiegen. D.h., dass Situationen gemeldet wurden, wo die Kolleg/innen sich nicht mehr in der Lage sahen, Patient/innen ohne Gefährdung zu betreuen, da es an Personal fehlte. So kommt es auf Pflegestationen nicht so selten vor, dass ein Patient eine Windel bekommt, obwohl er sie gar nicht brauchen würde, nur weil es kein Personal gibt, um ihm für den Weg auf die Toilette zu helfen.  Im AKH Wien sind derzeit haufenweise Betten gesperrt, aufgrund von Personalmangel. In mehreren Bundesländern können Pflegeheime wegen fehlenden Personals nicht in Betrieb gehalten werden. Gleichzeitig wurden Kolleg/innen in der Coronazeit gekündigt und schikaniert, da sie z.B. einmal zu oft im Krankenstand waren.

Und was tut die Regierung gegen diesen Flächenbrand? Mit der Gießkanne hie und da längst fällige Miniinvestitionen tätigen. Eine Milliarde soll investiert werden. Im Vergleich zu den mehr als 40 Milliarden an Corona–Wirtschaftshilfen – die vor allem dazu beigetragen haben, die Profite der Konzerne und der Reichen zu schützen – ist das lächerlich, nur ein „Zuckerl“ oder ein „Tropfen auf dem heißen Stein“, wie viele Demonstrant/innen es sagten. Die Regierung drückt auch weiterhin ihre Verachtung gegenüber den älteren Beschäftigten aus, indem sie verweigert ihre Arbeit als Schwerarbeit anzuerkennen. Und sie somit keine Möglichkeit haben früher in Pension zu gehen. Auch eine geforderte Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden wird mit keinem Wort erwähnt. Und statt einer echten Gehaltserhöhung soll es nur so etwas wie Zulagen für zwei Jahre geben.

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Kolleg/innen kündigen und Stationen gesperrt „müssen“ werden, da es kein Personal gibt. Ein Sparprogramm also, ohne es offiziell so zu nennen. Was dringend notwendig wäre, damit die Pflege gute Arbeit leisten und der Bevölkerung den bestmöglichen Gesundheitsdienst bieten kann, wären zusätzliche Stellen. Vor ein paar Monaten war die Regierung fähig, eine Impfplicht zu beschließen, die in Wirklichkeit gegen die Beschäftigten gerichtet war, die dem Impfstoff skeptisch gegenüberstanden, egal ob zu Recht oder zu Unrecht. Warum aber gibt es heute keine Pflicht, mehr Personal einzustellen, in allen Einrichtungen, wo es nötig ist? Weil das gar nicht die Priorität der Regierung ist. Im Gegenteil lässt sie zu, dass der Druck auf die Pflegenden immer größer wird. So berichten viele Kolleg/innen, wie sie ständig in ihrer Freizeit angerufen werden, um einzuspringen. Und das bei 12-Stunden-Diensten, die mehrmals in der Woche zwischen Nacht- und Tagschicht wechseln. Unter solchen Bedingungen noch zusätzliche Dienste zu machen ist Selbstmord auf Raten. Bei solchen Schichtmodellen würden die meisten Industriearbeiter auf die Barrikaden gehen.

Es ist also zu hoffen, dass sich die Wut und der Protest der pflegenden Kolleg/innen weiterentwickelt. Sie brauchen die Unterstützung und die Solidarität aller anderen Arbeitenden, denn wir alle werden früher oder später von den Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen betroffen sein. Darüber hinaus wäre es aber auch notwendig, dass der Zorn in allen Wirtschaftsbereichen zum Ausdruck kommt: gegen die Löhne, die nicht dem Preisanstieg folgen; gegen das steigende Chaos in der Produktion, das sich in vielen Betrieben verbreitet; gegen die prekären Arbeitsverhältnisse, die nur dazu dienen, uns noch mehr zu spalten ...

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