20. Juni 2008
Vielen Lohnabhängigen ist bisher nur wenig klar, welche einschneidenden Verschlechterung in der Gesundheitsversorgung mit der aktuell geplanten "Gesundheitsreform" auf sie zukommen würden. Wir analysieren die verschiedenen Aspekte des Regierungsentwurfes, setzen sie in Bezug zum bereits bestehenden kapitalistischen Zugriff auf das österreichische Gesundheitswesen und entwickeln entsprechende marxistische Positionierungen.
Durch politische Entscheidungen wurden die österreichischen Gebietskrankenkassen jahrelang ins Defizit getrieben. Jetzt heißt es von den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, ihren "Experten" und den bürgerlichen Medien in völligem Gleichklang, dass die Krankenkassen nicht mehr finanzierbar seien und dass endlich eine rigide Sanierung her müsse. Die vorliegende Gesundheitsreform bedeutet eine weitere Zurückdrängung der ArbeiterInnenbewegung aus den Kassen, erhebliche Schritte in Richtung Liberalisierung und Privatisierung und ein Verschärfung der Zwei-Klassen-Medizin. Das Perverse an der Sache: Die Vorlage für diesen arbeiterInnenfeindlichen Plan wurde vom ÖGB (gemeinsam mit der Wirtschaftskammer) ausgearbeitet. Eine ArbeiterInnenklasse, die solche Gewerkschaften hat, bräuchte eigentlich keine Feinde mehr!
Die angebliche Unfinanzierbarkeit
Dass eine "Kostenexplosion" für die finanzielle Krise der Krankenkassen verantwortlich sei, ist ein Märchen für das Publikum auf den billigen Plätzen. Es soll der Bevölkerung eingeredet werden, dass - weil "wir immer älter werden" und "uns immer bessere technische Geräte" zur Verfügung stehen - Einschnitte und Opfer unvermeidlich seien. Tatsächlich aber ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit Mitte der 1990er Jahre nur minimal gestiegen: 1995 waren es 9,7%, im Jahr 2000 dann 9,9% und 2006 schließlich 10,1%. Dass die Krankenkassen insgesamt Schulden in der Höhe von nahezu zwei Mrd. Euro haben (zum Vergleich die Kosten für die Eurofighter-Kampfflugzeuge: insgesamt mindestens vier Mrd. Euro), wurde vielmehr durch die Regierungspolitik der letzten Jahre herbeigeführt:
Die Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose wurden "gedeckelt", sodass die tatsächlichen Kosten für die Krankenkassen deutlich höher sind. Seit dem Jahr 2000 ist das Wochengeld, das unselbstständig erwerbstätige Frauen in den Wochen vor und nach der Geburt bekommen, zu 30% von den Krankenversicherungen zu zahlen. Die Beiträge, die von den Krankenkassen für die Spitalsfinanzierung an die Bundesländer abgeführt werden müssen, wurden erhöht. Die Krankenkassen verloren die Vorsteuerabzugsfähigkeit bei der Mehrwertsteuer, was nur teilweise ausgeglichen wurde. Der fiktive Arbeitergeberbeitrag des Bundes für PensionistInnen wurde um 11,3% gesenkt, was die Gebietskrankenkassen mit vielen PensionistInnen besonders belastet. Per Gesetz wurden die jungen Vertragsbediensteten im öffentlichen Dienst (und damit "gute Risiken") der Beamtenversicherung zugeteilt, was ebenfalls die Gebietskrankenkassen belastet.
Leo Chini, Gesundheitsökonom an der Wiener Wirtschaftsuni hat ausgerechnet, dass diese Gesetzesänderungen der letzten beiden Regierungsperioden alleine der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) etwa 500 Mio. Euro gekostet und damit die finanziellen Probleme erst ausgelöst haben. Dass sich die WGKK angesichts dieser Zumutung besonders schwer tut, liegt nicht daran - wie bürgerliche PolitikerInnen und ihre Schreiberlinge genüsslich behaupten -, dass es sich bei ihr um eine "rote Kasse" handelt, sondern am vergleichsweise hohen Durchschnittsalter der Wiener Bevölkerung und daran, dass in den Spitzenspitälern in Wien Gesundheitsleistungen auch für EinwohnerInnen anderer Bundesländer erbracht werden. Dass die Regierung ähnliche Summen, wie der WGKK abgenommen wurden, in anderen Bereichen problemlos locker macht, zeigt der jüngste Plan von SPÖ/ÖVP, den superreichen BesitzerInnen von Privatstiftungen rückwirkend 400 Mio. Euro zu schenken.
Ohne die Gesetze der letzten Jahre gäbe es also die jetzige Finanzkrise der Krankenkassen gar nicht. Zu ihrer schwierigen aktuellen Lage tragen aber auch noch andere Faktoren bei. Mit der Umverteilung zuungunsten der unselbstständig Erwerbstätigen und der zunehmenden prekären Beschäftigung steigen die Krankenversicherungsbeiträge weniger als das BIP. Steigende Medikamentenkosten bringen massive Gewinne für die Pharmakonzerne und wachsende Belastung für die Kassen.
Vor allem aber haben die Unternehmen in Österreich etwa eine Mrd. Euro Schulden bei den Krankenkassen; Ende 2006 waren es 934 Mio. (344 Mio. allein bei der WGKK), wovon 134 Mio. als uneinbringbar galten, weil die Firmen in Konkurs gingen (oder geschickt wurden). Für 2007 liegen die Zahlen laut Ärztekammer noch höher. Das heißt nichts anderes als dass seit Jahrzehnten die österreichischen KapitalistInnen gesetzlich vorgeschriebene Krankenversicherungsbeiträge nicht abliefern, dieser Zustand von der Gesetzeslage ermöglicht wird und von den Regierungen nichts dagegen unternommen wird. Und dann schreien die IdeologInnen der KapitalistInnenklasse, dass das Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar sei. Den Vorschlag der Ärztekammer, dass es für die nicht bezahlten Beiträge der KapitalistInnen eine Staatshaftung geben sollte, lehnen wir ab, denn das würde nicht anderes bedeuten als dass überwiegend die Lohnabhängigen mit ihren Massensteuern dafür aufkommen. Wir sind vielmehr dafür, dass die KapitalistInnenklasse, etwa in Form eines Fonds, in den alle UnternehmerInnen einzahlen, diese Ausstände ihrer eigenen Klasse begleicht.
Der Hauptverband als Holding
Bis 2012 wird der Staat dem Gesundheitswesen 1,5 Mrd. Euro zuschießen, d.h. aus den Massensteuern, die mittlerweile für den allergrößten Teil des Staatsbudgets aufkommen, werden Verluste abgedeckt, die unter anderem durch die nicht erfolgte Beitragsablieferung der KapitalistInnen entstehen. Der zentrale und weitreichendste Punkt der "Gesundheitsreform" ist aber sicherlich die Umkrempelung der Gebietskrankenkassen. Geplant sind eine Zentralisierung, die Umwandlung in eine Holdung und eine Zerstörung der Selbstverwaltung.
Als SozialistInnen stehen wir nicht jeder Form von Zentralisierung ablehnend gegenüber. Spezielle Versicherungen für BeamtInnen oder verschiedene privilegierte Berufsgruppen haben oft einen ständischen, elitären und spalterischen Charakter. Im Gesundheitswesen wäre es an sich sinnvoll, dass alle Lohnabhängigen (und überhaupt alle Menschen) in einem Versicherungssystem sind und so die Risken und Leistungen auf der breitmöglichsten Basis stehen und für alle eine Versorgung auf höchstem Niveau ermöglichen. Wogegen wir aber natürlich sind, sind Angleichungen nach unten, wie sie in manchen europäischen Ländern bereits über die Bühne gehen.
Bei der Zentralisierung à la SPÖ/ÖVP geht es einerseits um eine Verschlechterung der Leistungen. In vielen Bereichen, wo der Hauptverband heute schon zuständig ist, bedeutet das schlechtere Versorgung zu hohen Preisen: etwa in der Zahnmedizin (Zahnspangen, Zahnersatz, Mundprophylaxe) oder bei der Psychotherapie. Dass der Hauptverband der Krankenkassen in eine Holding umgewandelt werden soll, zeigt mehr als deutlich, in welche Richtung der Weg gehen soll, wenn es nach den "Sozialpartnern" (Wirtschaftskammer und ÖGB) und der Regierung geht: Die geplante Zentralisierung ist eine, die marktkonforme Effizienzsteigerung im Auge hat. Die Holding Krankenkasse soll perspektivisch ein wettbewerbsfähiger Gesundheitskonzern sein, der in einem liberalisierten EU-Binnenmarkt für das Geschäft mit der Gesundheit bestehen kann.
Bei einer solchen Ausrichtung ist jede "Selbstverwaltung" durch die "ArbeitnehmerInnen"-Organisationen natürlich hinderlich. Wir wollen hier nichts idealisieren: Auch beim traditionellen Einfluss der Gewerkschaften und Arbeiterkammern in den GKK hatten nicht wirklich die Lohnabhängigen einen direkten Einfluss auf ihre Gesundheitsversorgung. Vielmehr agierten BürokratInnen der ArbeiterInnenbewegung, für die sich in den GKK zahlreiche gute Posten fanden, "für" die Lohnabhängigen und verwalteten in den letzten Jahrzehnten auch zahlreiche Verschlechterungen mit. Dennoch waren die GewerkschaftsbürokratInnen in den GKK noch eher einem Druck der ArbeiterInnenklasse ausgesetzt als irgendwelche ManagerInnen.
Der Einfluss der "ArbeitnehmerInnen"-VertreterInnen war schon 2001 unter der ÖVP/FPÖ-Regierung zurückgedrängt worden (damals gab es noch halbherzige Proteste des ÖGB). Jetzt schlagen aber Wirtschaftskammer und ÖGB (!) einen drastischen Umbruch vor: Hatten die UnternehmerInnen in den Krankenkassen der unselbstständig Erwerbstätigen bisher lediglich ein Mitspracherecht in wichtigen Fragen, soll die Kapitalseite nun einen zusätzlichen geschäftsführenden Direktor und - durch ein sogenanntes "Einstimmigkeitsprinzip" - ein Vetorecht in allen Frage bekommen! Das bedeutet, dass in der Gesundheitsversorgung der Lohnabhängigen nichts mehr entschieden werden kann, was nicht die Zustimmung der KapitalistInnenverbände beziehungsweise der ÖVP hat. Das bedeutet, dass in Zukunft Leute wie der ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, selbst ein Pharma-Großindustrieller, in den Krankenkassen der ArbeiterInnen entscheiden werden.
Die neue Holding soll ein Durchgriffsrecht gegenüber den diversen Krankenkassen haben. Die "Geschäftsziele" der einzelnen Kassen sollen zukünftig zentral vom Hauptverband vorgegeben werden. Die GeschäftsführerInnen der einzelnen Kassen sollen in Zukunft nur noch befristete Verträge erhalten. Ihre Vertragsverlängerung soll davon abhängen, ob sie die vom Hauptverband vorgegebenen (Einsparungs-) Ziele einhalten. Man/frau kann sich also ausrechnen, wie diese Herren (und vielleicht auch einzelne Damen) hier agieren würden.
Privatisierung und Liberalisierung
Das von Wirtschaftskammer und ÖGB Anfang April vorlegte und vom Ministerrat Anfang Juni beschlossene Papier sieht eine "saubere organisatorische Trennung von Leistungserbringung und Finanzierung" vor. Das würde bedeuten, dass die einzelnen Gebietskrankenkassen ihre eigene Leistungserbringung einstellen müssten. Das würde auf die Privatisierung oder zumindest den Verkauf der Gesundheitseinrichtungen, die von der WGKK betrieben werden (Hanusch-Krankenhaus, vier Großgesundheitszentren, acht Zahngesundheitszentren, ein Gesundheitszentrum für Psychotherapie, das Institut für Physikalische Medizin, ein Gesundheitszentrum für Kinder), hinauslaufen. Die OÖGKK müsste ihre 15 Zahnambulatorien, vier Fachambulatorien und drei Kurheime privatisieren. Eine Verscherbelung an Privatfirmen käme einer Enteignung der Versicherten gleich, die Folge wäre zweifellos, dass viele Leistungen für "sozial Schwache" nicht mehr erbracht würden, weil es sich nicht rechnet.
Insgesamt ist die Forderung nach Trennung von Finanzierung und Leistungserbringung meistens der erste Schritt, wenn Bereiche der öffentlichen Versorgung auf Liberalisierungs- und Privatisierungskurs gebracht werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Dienstleistungsrichtlinie GATS (mehr zum GATS im Artikel "Alles ist käuflich" aus "Morgenrot" Nr.24/2003). Auch die EU arbeitet nach diesem Muster. Eine EU-Liberalisierungsrichtlinie für den Gesundheitssektor ist bereits in Vorbereitung. Das Ziel davon ist es, einen EU-Binnenmarkt für Dienstleistungen im Gesundheitsbereich zu schaffen. Die Umsetzung ist zwar im Moment auf Eis gelegt, weil der gegenwärtige Zeitpunkt wegen der Ratifizierung des EU-Vertrages als "politisch denkbar ungünstig" eingeschätzt wurde. Im Klartext: Bis der EU-Vertrag unter Dach und Fach ist, soll die europäische Bevölkerung nicht weiter gegen die EU beziehungsweise die HandlangerInnen des Kapitals im EU-Establishment aufgebracht werden. Dennoch hat die EU-Kommission schon im vergangenen Winter Österreich zur "Intensivierung des Wettbewerbs bei den Dienstleistungen und insbesondere bei den freien Berufen" gedrängt.
Von diesen Entwicklungen profitieren natürlich die Kapitalgruppen, die im Gesundheitssektor aktiv sind. Bereits 2006 waren drei Pharmakonzerne (Novartis, Roche und Sanofi-Aventis) unter den sechs größten Unternehmen der Eurozone. Dass der Gesundheitssektor ein extrem lukrativer Markt ist, ergibt sich allein daraus, dass er in den europäischen Ländern 8-12% des BIP ausmacht; sogar im Automobilland Deutschland liegt der Anteil des Gesundheitssektors am BIP (260 Mrd. Euro Umsatz) deutlich über dem z.B. der Kraftfahrzeugindustrie. In Österreich werden jährlich etwa 25 Mrd. Euro für Gesundheit ausgegeben. Da in vielen europäischen Ländern immer noch erhebliche Teile des Gesundheitswesens in öffentlicher Hand sind, ist für die KapitalistInnen klar, dass hier noch große Stücke vom Kuchen zu holen sind. Pharmakonzerne, Versicherungen und Kapitalgruppen wie die deutsche Helios-Klinikkette (60 Kliniken in Deutschland, 30.000 Beschäftigte) stehen in den Startlöchern, um lukrative Teile des öffentlichen Gesundheitswesens zu übernehmen. Und der Österreicher Armin Fiedler, bei der Weltbank zuständig für Gesundheitssysteme in Europa und Asien, sagte offen: "Wenn große Versicherungen eigene Kliniken haben, wird es auch für die Börse interessant." Im Interesse dieser Kapitalgruppen handeln die EU-Kommission und die nationalen Regierungen.
Im Megamarkt Gesundheit werden weltweit mehr als 5.000 Mrd. US-$ pro Jahr umgesetzt, dieser stellt damit einen riesigen Wirtschaftssektor dar. Die Gesundheitssysteme, in denen es starken Wettbewerb gibt, sind die teuersten und die am wenigsten effizienten. In den USA, wo die Versicherer (der größte ist Kayser Permanent Health Plan) und die meisten Krankenhäuser privat sind, sind die Gesundheitsausgaben mit 15,3% des BIP am höchsten, die Bevölkerung ist mit den Leistungen und der Versorgung am unzufriedensten. Trotz dieser hohen Ausgaben sind 43% der Bevölkerung nicht krankenversichert und viele andere müssen darum bangen, ob ihre Versicherungen Leistungen tatsächlich übernehmen beziehungsweise dass sie ihre Versicherungen nicht verlieren. In Deutschland gehören bereits 20% aller öffentlichen Krankenhäuser privaten Konzernen. Ihre Strategien sind Sparen beim Personal, Reduzieren von Leistungen, Schließung von unrentablen Häusern und stärkerer Wettbewerb. Von den etwa 2.000 öffentlichen Spitälern in Deutschland stehen 500 vor der Schließung und weitere 500 vor dem Verkauf.
In den Niederlanden sollte die eingeführte Konkurrenz zwischen privaten Kliniken/Ambulanzdiensten und den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen angeblich eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und mehr Arbeitsplätze bringen. Das Gegenteil ist der Fall: Die niedrigen Löhne und das Sparen bei der Beschäftigtenzahl der privaten Anbieter bedeuten auch mehr Druck auf die Arbeitsverhältnisse in den staatlichen Einrichtungen. Es stiegen die Teilzeitjobs und die Löhne sanken, die medizinische Versorgung litt unter dem Kostendruck. In den Privatkliniken hatten die tätigen ÄrztInnen oft nicht die erforderliche Fachausbildung (sondern waren AllgemeinmedizinerInnen), mehrere Kliniken beschäftigten unausgebildetes Personal im Pflegebereich. In der Hälfte der Kliniken wurden vor Operationen keine Voruntersuchungen zum allgemeinen Gesundheitszustand durchgeführt, es gab keine Maßnahmen zur Vorbeugung postoperativer Infektionen und es gab kein ausgebildetes Personal zur Desinfektion der Instrumente. Die zuletzt in Italien bekannt gewordenen Fälle, wo in Privatkliniken zur Bereicherung der ÄrztInnen systematisch völlig unnötige Operationen durchgeführt wurden, sind sicher nur die Spitze des Eisberges der Zustände in einem profitorientierten Gesundheitswesen.
Öffentliche Spitäler marktgerecht
Auch in Österreich sind im Spitalsbereich längst wichtige Schritte Richtung Liberalisierung und Privatisierung passiert. Die öffentlichen Krankenhäuser agieren überwiegend im Rahmen privatwirtschaftlicher Rechts- und Organisationsformen; in den Bundesländern sind dies fünf GmbHs, eine AG, etc. Die Wiener Gemeindekrankenhäuser wurden von der SPÖ-Landesregierung 2002 aus dem ordentlichen Budget ausgegliedert und werden seitdem als KAV (Krankenanstaltenverbund) als eigenständiges Unternehmen mit 32.000 Beschäftigten geführt. Private Krankenhäuser machen in Österreich 39% der Krankenanstalten aus, wobei kirchliche Spitäler dabei einen wichtigen Platz einnehmen.
In den öffentlichen Krankenhäusern werden immer mehr Teile an private Anbieter ausgegliedert: Das betrifft etwa die Wäscherei, die Reinigung, die Küche, das Rechnungswesen, die Apotheke oder den IT-Bereich, geht aber bis zur Logistik im OP-Bereich und Labor- und Röntgenuntersuchungen (womit praktischerweise auch gleich die Kosten an die Krankenkassen ausgelagert werden, weil die niedergelassenen ÄrztInnen direkt aus den Kassen und nicht von den Spitälern bezahlt werden). Die österreichischen Spitäler werden heute bereits nach Industriestandards (!) zertifiziert und es gibt heute bereits Vorgaben an die Krankenhausverwaltungen, Einsparungen von 30% zu erreichen. Gleichzeitig schlagen Professoren am Wiener AKH vor, im Spitalswesen und insbesondere im AKH "profit-center" einzuführen.
Bereits 1997 wurde in Österreichs Spitälern die LKF (Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung), und damit eine stärkere Ausrichtung auf "Effizienz", eingeführt. Die Krankenhäuser bekommen ihre Gelder von Krankenkassen, Bund, Ländern, Gemeinden etc. seitdem pro erbrachter Leistung. Die Spitäler haben dementsprechend ein Interesse daran, möglichst viele "Leistungen" durchzuführen. Ob all diese Leistungen immer unbedingt notwendig und im Interesse der PatientInnen sind, darf bezweifelt werden. Außerdem sind die Krankenhäuser daran interessiert, die PatientInnen möglichst rasch wieder zu entlassen; im Wiener AKH ist seitdem der durchschnittliche Aufenthalt von PatientInnen von 14 Tagen auf sechs Tage gesunken. Oft werden die PatientInnen nicht als "geheilt", sondern als "gebessert" entlassen, was zur Folge hat, dass sie oft immer wieder kommen - und dann wieder neue Leistungen erbracht werden können. Für das Pflegepersonal bedeutet das eine erhebliche Intensivierung ihrer Arbeit. Bundesministerin Kdolsky arbeitete zuletzt weiter daran, die "Kosteneffizienz zu steigern", also Kosten reduzieren und nach finanziellen Vorgaben beispielsweise Therapiepläne vorgeben.
Bereits vor der LKF war in den Krankenhäusern die so genannte PPR (Patientenbezogene Personalbedarfsrechnung) etabliert worden. Nach einem willkürlichen Katalog von Pflegeleistungen, in dem viele Tätigkeiten des Pflegepersonals gar nicht erfasst waren, sollte damit im Pflegebereich eine "Effizienzsteigerung" erreicht werden. Die Folge war, dass das Pflegepersonal täglich bis zu einer Stunde mit der Dokumentation seiner Tätigkeiten beschäftigt wurde. Benutzt wurde die PPR natürlich immer nur zur Reduzierung von Personal; wenn selbst nach der PPR Personal fehlte, wurde kaum nachbesetzt. Die PPR trug wesentlich zur Steigerung der Arbeitshetze bei den PflegerInnen bei und damit auch zur schlechteren Pflege der PatientInnen. Der Personalmangel führte teilweise dazu, dass in öffentlichen Spitälern private Pflegeleistungen dazugekauft werden. In Österreich gibt es über 5.000 PflegerInnen, die über so genannten Poolfirmen in Spitälern und Pflegeheimen arbeiten. Da sie oft mal da, mal dort eingesetzt, werden kennen sie die Station und die PatientInnen oft nicht so gut, was sich auf die Pflege nicht vorteilhaft auswirkt. Die Pool-PflegerInnen haben teilweise schlechtere Arbeitsbedingungen, teilweise handelt es sich auch um Nebenjobs von PflegerInnen, die dann völlig übermüdet in den Diensten stehen. Insgesamt leiden große Teile des Pflegepersonals leiden unter Überstundenbelastungen und Arbeitsstress. Überhaupt haben sich für den Großteil der über 290.000 im Gesundheitswesen Beschäftigten (darunter 80% Frauen) durch all die "Effizienzsteigerungen" die Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert. Die ganze Einsparungspolitik im Gesundheitswesen geht seit Jahren auf Kosten der Beschäftigten in den Spitälern und auf Kosten der PatientInnen.
Zugriff der Gesundheitskonzerne
Es wurde in den letzten 15 Jahren aber nicht nur das öffentliche Gesundheitssystem immer mehr marktgerecht zugerichtet. Auch in Österreich beteiligen sich immer mehr international agierende, zum Teil börsennotierte Konzerne an Spitalsprivatisierungen. Und immer öfter verhandeln auch in Österreich finanzschwache Gemeinden mit privaten Klinikbetreibern über den Verkauf ihrer Spitäler, wie etwa Hohenems und Bludenz in Vorarlberg oder Baden (NÖ).
Bereits 2001 übernahm der erwähnte Krankenhauskonzern Helios um läppische 242.000 Euro das öffentliche Krankenhaus in Kitzbühel (Tirol). Der Gesundheitsdienstleister VAMED (die ehemals verstaatlichte Voest Alpine MED), der wie Helios zum deutschen Medizintechnikkonzern Fresenius gehört, macht die technische Betriebsführung des AKH in Wien (und damit des größten Spitals in Österreich), managt das neue neurologische Rehabilitationszentrum der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, beteiligte sich am Bau des neuen Spitals in Schladming (Steiermark), des Neubaus des Landeskrankenhauses in Vöcklabruck (OÖ), des Mutter-Kind-Zentrums in Linz und am Ausbau des Landeskrankenhauses in Steyr (OÖ). In Neunkirchen (NÖ) managt die VAMED das neue Stadtspital und ist an der Betriebsgesellschaft zu 49% beteiligt. VAMED setzt zunehmend auf medizinische Instandhaltung und die Betriebsführung von Gesundheitseinrichtungen und will verstärkt auch Spitäler in Ostmitteleuropa übernehmen.
Die 1991 gegründete Humanomed-Gruppe gehört mehrheitlich den privaten Krankenversicherungen Uniqa, Merkur und Wiener Städtische. Sie führt als Management-Holding unter anderen die Privatkliniken Josefstadt, Confraternität und Döbling in Wien sowie Graz Ragnitz in der Steiermark. Humanomed hat auch die Führung des Krankenhauses Klosterneuburg (NÖ) übernommen - gemeinsam mit dem HCC-Konzern. Die 2001 gegründeten HCC Krankenanstalten sind im Eigentum der Privatstiftung von Christian Köck (auch Vorstand der HCC), der Melina-Privatstiftung, des Privatspitalsbetreibers Hermann Samonigg, der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und der Familien-Privatstiftung von Hans-Peter Haselsteiner, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der HCC und praktischerweise auch Eigentümer des riesigen Baukonzerns Strabag ist. Neben dem Spital in Klosterneuburg hat die HCC seit 2004 auch einen Managementvertrag mit der Kages (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft). Bereits vor einigen Jahren meldete HCC Interesse an der Übernahme des Hanusch-Krankenhauses in Wien an.
Christian Köck ist übrigens eine besonders zwielichtige Figur: In Fernsehen und Presse tritt der ehemalige Vorsitzende des (mittlerweile implodierten) Liberalen Forums häufig als "Gesundheitsexperte" auf, der der interessierten Öffentlichkeit eloquent erklärt, warum Liberalisierung, Wettbewerb und Privatisierung im Gesundheitswesen unbedingt nötig und im allgemeinen Interesse seien - dabei sind er und seine Kumpanen die Hauptprofiteure dieser Entwicklung. Vor einigen Jahren hat Köck der Gemeinde Wien allen Ernstes vorgeschlagen, die Semmelweis-Klinik (ein Areal, das allein als Immobilie unglaublichen Wert hat) um 1 Euro zu übernehmen; das war selbst der ausgliederungswütigen sozialdemokratischen Stadtverwaltung bislang zu unverschämt.
Bereicherung am öffentlichen System
Dazu kommt, dass sich die Pharmaindustrie und Teile der ÄrztInnenschaft am öffentlichen Gesundheitssystem ungehindert bereichern. Die Medikamentenkosten sind zwischen 1997 und 2005 um 70% gestiegen, was den Pharmafirmen satte Gewinne beschert hat. Die ÄrztInnen sind eine heterogene Schicht: Während die unteren SpitalsärztInnen verantwortungslos lange Arbeitszeiten haben und dafür dann gar nicht soviel verdienen, während die niedergelassenen ÄrztInnen, die aus lohnabhängigen Verhältnissen stammen, jahrzehntelang die Kredite für ihre Ordinationen abzahlen, haben manche niedergelassene (Fach-)ÄrztInnen irrwitzige Einkünfte, zu guten Teilen aufgrund der (nicht immer nachvollziehbaren) Leistungen, die sie den öffentlichen Kassen verrechnen. Die ÄrztInnen, die Hausapotheken betreiben, bekommen von den Pharmakonzernen ordentliche Rabatte, verrechnen den Kassen aber die vollen Preise weiter. Auf Kosten der Allgemeinheit machen diese ÄrztInnen so zusätzliche Gewinne von zehntausenden Euro, sie haben damit einen Anreiz, möglichst viel zu verschreiben und deshalb profitiert auch die Pharmabranche.
Vor allem aber sind bis zu 80% der oberen Ärzte/innen in Spitälern (ProfessorInnen, PrimarärztInnen) an privaten Gesundheitsfirmen beteiligt. Sie nutzen die öffentlich finanzierten Einrichtungen für "ihre" PrivatpatientInnen, gegenüber denen sie als PrivatanbieterInnen auftreten. Insofern ist es irreführend, wenn heute angesichts der geplanten "Gesundheitsreform" vor einer drohenden "2-Klassen-Medizin" gewarnt wird. Eine 2-Klassen-Medizin gibt es in Österreich schon längst. Die so genannten "Sonderklassepatienten", die über eine private Zusatzversicherung verfügen, werden heute schon deutlich privilegiert: Sie bekommen schneller Untersuchungs- und Operationstermine. Sie können sich den/die behandelnde/n Arzt/Ärztin (meist die erfahrensten SpezialistInnen) aussuchen. Sie bekommen eine intensivere medizinische Betreuung. Und sie bekommen beispielsweise das beste Material; so entscheidet etwa ein/e Chirurg/in nach freiem Ermessen, welche PatientInnen bei einer Hüftoperation eine hochqualitative Titanhüfte bekommen (und welche nicht) und natürlich werden seine/ihre PrivatpatientInnen hier im Vorteil sein.
Die Behandlung der SonderklassepatientInnen wird weitgehend in der Dienstzeit der oberen ÄrztInnen, in der sie vom öffentlichen Gesundheitssystem bezahlt werden, durchgeführt und damit die Allgemeinheit geschädigt. Die Einkünfte der SonderklassepatientInnen beziehen in erster Linie die oberen ÄrztInnen und in zweiter Linie die Privatversicherungen, während die öffentlichen Spitäler nur relativ kleine Summen lukrieren. Untergebracht werden die PrivatpatientInnen oft in privaten hotelartigen Luxus-"Kliniken" rund um die öffentlichen Spitäler, an denen PrimarärztInnen in manchen Fällen beteiligt sind beziehungsweise in denen sie als PrivatärztInnen tätig sind, die voll abkassieren - und die teuren medizinischen Leistungen (für die sie selbst gar nicht ausgestattet sind) dann im benachbarten öffentlichen Krankenhaus durchführen lassen. Die privaten "Kliniken" rund um das Wiener AKH etwa werden nicht zufällig als die "goldene Meile" bezeichnet. Was die jetzige Gesundheitsreform bringt, ist also nicht die 2-Klassen-Medizin, sondern eine Verschärfung des bestehenden Systems der 2-Klassen-Medizin.
"Qualitätssicherung" und befristete Verträge
Im Regierungsentwurf ist vorgesehen, dass die Verträge alle fünf Jahre "rezertifiziert" werden, das heißt, dass alle fünf Jahre eine "Evaluierung" der Leistung der VertragsärztInnen stattfindet und die Kündigung der Verträge möglich ist. Davon betroffen sind die 4.285 niedergelassenen AllgemeinmedizinerInnen und 3.860 FachärztInnen mit Kassenverträgen. Nun ist gegen eine Qualitätskontrolle der ÄrztInnen grundsätzlich nichts einzuwenden; schließlich gibt es immer wieder MedizinerInnen, die fachlich schlecht sind und/oder sich vor allem um hohen Durchlauf in ihrer Ordination und weniger um die PatientInnen kümmern. Die Frage ist aber, wer hier mit welchen Zielen kontrolliert. Wir wären grundsätzlich für eine Qualitätskontrolle durch die ArbeiterInnenklasse und die PatientInnen vor Ort gemeinsam mit von der ArbeiterInnenbewegung bezahlten ÄrztInnen.
Für Ministerin Kdolsky und die Regierung geht es darum, dass Kassenverträge wegen mangelnder "Effizienz" gekündigt werden können. Vertragsverlängerungen sollen unter anderem vom "ökonomischen Vorgehen des Arztes" abhängig gemacht werden. Der Vertrag kann gekündigt werden, wenn er/sie höhere Kosten verursacht als der Durchschnitt. Damit geht es darum, die Kontrolle über ärztliche Tätigkeiten zu verstärken und wirtschaftlichen Druck auszuüben, anstelle der optimalen Therapie die billigste zu verordnen. Schwerkranke werden für ÄrztInnen dadurch zur finanziellen Belastung und werden es immer schwerer haben, eine/n Arzt/Ärztin zu finden beziehungsweise werden rasch ins Spital geschickt werden.
Wenn die Grünen an diesem Punkt der "Gesundheitsreform" kritisieren, dass damit eine Registrierkassa im Kopf des Arztes installiert wird, haben sie damit nur teilweise recht. Tatsächlich bedeutet auch schon die bestehende "leistungsbezogene" Bezahlung durch die Kassen, dass die ÄrztInnen immer mitrechnen (können), welche/r Patient/in wie viel bringt, welche Leistungen verrechnet werden können. Dadurch wird die Massenabfertigung in den Ordinationen systematisch gefördert. Es stimmt aber natürlich, dass durch die Befristung von Verträgen und die Knüpfung ihrer Verlängerung an ökonomisches Wohlwollen die ökonomische Logik in den Köpfen der ÄrztInnen verstärkt wird. Die Qualitätskontrolle à la Kdolsky hat also keinen progressiven Inhalt, sondern steht im Kontext neoliberaler Umstrukturierungen, die die Einführung von Wettbewerb, Marktwirtschaft und Privatisierung im Gesundheitswesen vorantreiben sollen.
Einzelverträge und "freier Markt"
In diese Richtung gehen auch die geplanten Einzelverträge, die die Kassen in Zukunft abschließen dürfen sollen. Bisher ist es ja so, dass die Ärztekammer als gesetzlich verordnete Vertretung aller ÄrztInnen die Verträge mit den Krankenkassen abschließt. Wenn sich Kassen und Ärztekammer nicht einigen, droht der "vertraglose Zustand", bei dem jedes Arzthonorar von den PatientInnen selbst bezahlt werden müsste. Wenn auch das geplante Schiedsgericht, das sich laut Regierungsentwurf freilich an den Zielsetzungen der Holding ausrichtet müsste, scheitert, könnten die Krankenkassen Einzelverträge mit ÄrztInnen abschließen, die zu den angebotenen Bedingungen dazu bereit sind. Mit den einzelnen Direktverträgen könnten die Kassen zu billigeren Tarifen kommen beziehungsweise würde das Druckmittel der Kassen gegenüber der Ärztekammer deutlich steigen.
Nun könnte es an sich ein progressives Element haben, mit Einzelverträgen die berufsständische Macht der Ärztekammer aufzubrechen, nämlich dann, wenn Krankenkassen als tatsächlich selbstverwaltete Institutionen der ArbeiterInnenbewegung so für die Lohnabhängigen günstiger Verträge mit ÄrztInnen durchsetzen. Damit haben die aktuellen Pläne der Regierung aber nichts gemeinsam, spätestens mit der Schaffung der Kassen-Holding handelt es sich um eine Institution des bürgerlichen Staates, die einen kapitalkonformen Gesundheitsmarkt durchsetzen will. Mit den Einzelverträgen würde wohl auch der bestehende Stellenplan, der eine einigermaßen flächendeckende Versorgung garantiert, ausgehebelt werden.
Das hätte für die PatientInnen einige wesentliche Konsequenzen: Wenn nur noch Einzelverträge bestehen, würde es - teilweise absichtlich (Einsparungen) oder weil sich für bestimmte Gegenden vielleicht keine ÄrztInnen finden - Versorgungslücken oder eine weniger dichte Versorgung geben. Es würde wohl auch weniger KassenärztInnen geben, weil die ÄrztInnen, die einen ausreichenden und zahlungsbereiten Kundenstock haben, teilweise privat weitermachen. Freie Honorarvereinbarungen sind für viele ÄrztInnen dann realistische Alternativen; bei ihnen würden die Kosten für medizinische Leistungen dann rasant ansteigen. Alle, die das zahlen wollen und können, würde rasch Termine bekommen etc., alle anderen würden wegen der deutlich reduzierten Zahl von KassenärztInnen lange Wartezeiten und eine noch drastischere Massenabfertigung in Kauf nehmen müssen. Das würde einem Crash der bisherigen Versorgung gleichkommen und wäre ein weiterer Schritt bei der Einführung eines "freien Marktes" im Gesundheitsgeschäft.
Das ist für die Wirtschaftskammer und ihre Handlanger in der Regierung in dieser Frage wohl auch der entscheidende Punkt. Einzelverträge, bei denen die Standesvertretung Ärztekammer nichts mehr mitzureden hat, würden für Gesundheitsfirmen die Möglichkeit schaffen, mehrere Ordinationen oder Ordinationsketten mit angestelltem ärztlichem Personal aufzubauen. Ein weiterer Bereich des Gesundheitswesens wäre damit dem "freien Markt" und seiner Logik unterworfen. Dass Kdolsky & Co. in diese Richtung gehen, zeigte sich schon beim Regierungsvorstoß vom Herbst 2007, der die Einrichtung so genannten Ambulanter Versorgungszentren (AVZ) vorsah. Wie wir bereits zu diesem Zeitpunkt in einem Artikel ausgeführt haben, sind wir für die Schaffung von öffentlich geführten Polykliniken und Gruppenpraxen (am besten unter der Kontrolle der Lohnabhängigen),. Der Regierung aber ging und geht es mit den AVZ um die Verlagerung von Spitalsdiensten in die Privatwirtschaft und die Übergabe weiterer Elemente der Gesundheitsversorgung an profitorientierte Unternehmen.
Ärztekammer versus Regierung
Die Auseinandersetzung zwischen der Regierung und Ärztekammer hat auch den Charakter eines Konfliktes zwischen den aufstrebenden Gesundheitskonzernen und der kleinunternehmerischen ÄrztInnenschaft, eines Konfliktes zwischen Großkapital und ständisch organisiertem KleinunternehmerInnentum im Gesundheitsgeschäft. Als MarxistInnen stehen wir in einem solchen Konflikt, grundsätzlich betrachtet, nicht auf einer der beiden Seiten. Im konkreten Kontext aber bedeutet der Angriff auf die ÄrztInnen auch und vor allem einen Angriff auf die medizinische Versorgung der Lohnanhängigen. Da sind wir nicht neutral, sondern stellen uns gegen die Machenschaften der Regierung und der "Sozialpartner".
In der jetzigen Auseinandersetzung nimmt die Ärztekammer zumindest vorübergehend eine relativ "fortschrittliche" Rolle ein. Immerhin tritt sie dafür ein, dass die "Arbeitnehmervertretungen" als ihre alten VertragspartnerInnen erhalten bleiben. Die steirische Ärztekammer spricht im Informationsblatt für ihre Mitglieder von einem "gesundheitspolitischen Amoklauf" der Regierung und beklagt, dass sich bei dem Sozialpartnerpapier die Wirtschaftskammer gegen den ÖGB durchgesetzt hätte. Und der konservative Ärztekammerpräsident kritisiert gegenüber den Medien sogar, dass die Krankenkassen ausgehungert würden und dass die Unternehmen bei den Kassen so große Ausstände haben.
Damit spielt die Ärztekammer in diesem Konflikt aktuell eine bessere Rolle als die Gewerkschaften, die nichts gegen diese Angriffe auf die Lohnabhängigen tun - beziehungsweise das Reformpapier sogar noch mitverhandelt haben. Es gibt zwar Proteste der BetriebsrätInnen etwa in der oberösterreichischen GKK, aber die sozialdemokratische Führung des ÖGB (und auch Franz Bittner, der gleichzeitig Obmann der WGKK und stellvertretender Vorsitzender der GPA-DJP ist und die "Reform" mitverhandelt hat) ist für diese Gesundheitsreform voll verantwortlich. Es ist eine Schande für die ArbeiterInnenorganisationen in Österreich, dass der Kampf gegen diese Verschlechterung vor allem von der Ärztekammer geführt wird.
Auch wenn wir in der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Ärztekammer nicht neutral sind, so sind wir uns auch völlig im Klaren darüber, dass es sich bei ihr um eine konservative ständische Organisation handelt. Von der Ärztekammer sind auch immer wieder sehr reaktionäre Vorschläge in verschiedenen Fragen gekommen. Und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es ihre vor allem um die spezifischen Interessen ihrer Mitglieder, also einer privilegierten Schicht von FreiberuflerInnen und KleinunternehmerInnen, geht. Dementsprechend wehrt sich die Ärztekammer vor allem gegen die Befristung der Arztverträge, die möglichen Einzelverträge, die PatientInnenquittung und die aut-idem-Regelung. Dementsprechend kann es durchaus passieren, dass es in diesen Bereichen zu einigen Zugeständnissen der Regierung kommt - und die ÄrztInnen ihren Widerstand dann aufgeben. Kdolsky hat bezüglich PatientInnenquittung und Einzelverträgen ja auch bereits Verhandlungsbereitschaft angekündigt.
"aut idem" und die Pharmabranche
Die geplante Regelung aut idem(oder gleiches), die ab 2010 kommen soll, bedeutet, dass die KassenärztInnen (bei den Arzneimitteln, deren Patent abgelaufen ist) nur mehr Wirkstoffe und keine Medikamente verschreiben. Die ApothekerInnen sind dann verpflichtet, ein möglichst billiges Medikament auszusuchen. Nur bei einer ganz besonderen medizinischen Indikation können ÄrztInnen auf bestimmte Medikamente bestehen. Die tatsächlichen Einsparungspotentiale dieser Regelung sind umstritten, zumal schon bisher die ÄrztInnen von den Kassen zu "ökonomischer Verschreibweise" angehalten waren, d.h. sie sollten das kostengünstigste Medikament aussuchen. Die neue Regelung bedeutet also eigentlich nur die Verlagerung der Auswahl des kostengünstigeren Medikaments vom Arzt/von der Ärztin zum/zur ApothekerIn (soweit die ÄrztInnen sich daran gehalten hatten). Was aber wären die Folgen und was sind die Motive/Interessen hinter aut idem?
Bei der Verschreibung von bloßen Wirkstoffen kann es aufgrund unterschiedlicher Trägerstoffe, möglicher Allergien etc. zu Komplikationen kommen. Aut idem bedeutet auch, dass das abgegebene Präparat zu mindestens 80% der Inhaltsstoffe mit dem verschriebenen Präparats übereinstimmen muss, es muss keineswegs völlig gleich beziehungsweise gleichwertig sein. Die ÄrztInnen haben oft auch viel mehr Wissen/Erfahrung mit der tatsächlichen Wirkung eines Medikamentes als ApothekerInnen oder auch die Pharmafirmen, da der reale Praxistest der Medikamente meist am lebenden Objekt der PatientInnen stattfindet. Eine ordnungsgemäße Behandlung ist durch aut idem auch deshalb gefährdet, weil der/die behandelnde Arzt/Ärztin oft nicht einmal mehr wissen wird, welches Medikament in der Apotheke konkret ausgehändigt wurde. Die ÄrztInnen fürchten durch die neue Regelung auch eine Haftungsschere: Besteht er/sie nicht auf einem bestimmten Medikament, wird er unter bestimmten Umständen gegenüber dem/der Patienten/in haftbar. Besteht er/sie auf einem bestimmten Medikament, macht ihm die Kasse wegen der Kosten Schwierigkeiten.
Die aut-idem-Regelung bedeutet aber vor allem eine Verschiebung des Interesses der Pharmaindustrie von den ÄrztInnen hin zu den ApothekerInnen; und das ist natürlich ein wesentliches Motiv für den Widerstand der ÄrztInnen. Die Pharmaindustrie dominiert im Gesundheitswesen als Teil des medizinisch-industriellen Komplexes. Das bedeutet, dass die Forschung in den Kliniken oft direkt von Pharmakonzernen finanziert wird. Es gibt kaum mehr unabhängige staatliche Forschung, die Krankenhausapotheken bekommen Ärztemuster, die weiterverordnet werden. Teilweise werden Forschungsergebnisse manipuliert, um Medikamente auf den Markt zu bringen.
Darüber hinaus gibt es ein massives "Anfüttern" von ÄrztInnen, besonders von FachärztInnen, durch die Pharmaindustrie. Sie werden von Pharmakonzernen zu Kongressen in Luxushotels in teilweise exotische Orte der Welt eingeladen, wo eine Mischung aus Weiterbildung, Marketing, Beeinflussung und Urlaub stattfindet. Die ÄrztInnen werden so gegenüber der jeweiligen Firma positiv gestimmt. Finanziert wird das ganze natürlich von den PatientInnen und den Lohnabhängigen durch hohe Medikamentenkosten. Ein zusätzliches Problem bei der Sache ist, dass es kaum unabhängige ÄrztInnenfortbildung gibt, sondern dass sie mit den Kongressen der Pharmaindustrie verquickt ist. Das ist an sich schon eine Perversion des kapitalistischen Gesundheitsgeschäftes. Wenn aber die ÄrztInnen in Zukunft nicht mehr über die Medikamentauswahl entscheiden sollten und damit als Anfütterungsobjekt der Pharmakonzerne weniger interessant sind, würden auch die Weiterbildung und Beratung der ÄrztInnen darunter leiden.
Die Haltung der Pharmaindustrie zur aut-idem-Regelung ist uneinheitlich. Die (kleineren) Konzerne, die vor allem auf Beratung und gute Kontakte zu den ÄrztInnen setzen, sind gegen die neue Regelung. Die (großen) Konzerne, die vor allem über den Preis arbeiten, sind dafür. Dazu kommt, dass mit aut idem die Apotheken zum zentralen Objekt der Begierde der Pharmabranche werden würden.
Ein Hintergrund für die aut-idem-Regelung ist auch, dass seit 2005 ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Österreich läuft, um die Liberalisierung des Apothekensektors zu erzwingen. Bisher ist es in Österreich verboten, dass eine BesitzerIn mehrere Apotheken betreibt, und die Rechtsform ist beschränkt, das heißt, dass Kapitalgesellschaften keine Apotheken erwerben dürfen. Die EU-Kommission will mit dem Verfahren den großen Pharmakonzernen den Zugang zum überaus gewinnbringenden Medikamentenmarkt verschaffen. Die Machtverschiebung von den ÄrztInnen hin zu den Apotheken durch aut idem ist dabei natürlich voll im Interesse dieser Konzerne. Sie würden dann die Medikamente nicht nur produzieren, sondern in eigenen Apotheken auch gleich darüber entscheiden, welche Medikamente die PatientInnen bekommen.
"Patientenquittung" und Gesundheitsakte ELGA
Nach den Regierungsplänen sollen die PatientInnen von den ÄrztInnen Quittungen über die erbrachten Leistungen bekommen. Nun ist an sich nichts dagegen einzuwenden, dass PatientInnen einen Überblick darüber bekommen, welche Leistungen die ÄrztInnen in Bezug auf die eigene Person an die Kasse verrechnen. Im aktuellen Kontext ist die "Patientenquittung" dennoch nicht unproblematisch, geht es der Regierung doch im Rahmen der marktgerechten Umkrempelung des Gesundheitswesen wohl im wesentlichen darum, "Kostenbewusstsein" zu schaffen, eine Marktlogik in den Köpfen festzusetzen und eventuell auch den Kranken ein schlechtes Gewissen zu machen.
Die Ärztekammer kritisiert, dass die hohen Verwaltungskosten (bei 107 Mio. E-Card-Konsultationen pro Jahr) für die "Patientenquittung" in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden. Sie bezweifelt außerdem die organisatorische Umsetzbarkeit. Kdolsky hat der Ärztekammer nun zugesagt, dass die "Patientenquittung" erst kommt, "wenn sie technisch machbar ist".
Alle niedergelassenen ÄrztInnen sollen auch zur Teilnahme am "elektronischen Gesundheitsakt" ELGA verpflichtet werden. Dabei handelt es sich um eine zentrale PatientInnendatei, in der alle Krankengeschichten gespeichert werden, und die auch auf der E-Card gespeichert werden können. Nun hätte eine solche Speicherung auf der E-Card medizinisch natürlich auch tatsächlich Sinn, weil sämtliche behandelnden ÄrztInnen einen Überblick über bereits erfolgte Untersuchungen (wo Teile der PatientInnen selbst keinen Überblick haben) und ihre Ergebnisse hätten. Im Rahmen des kapitalistischen System und eines immer mehr marktgerecht zugerichteten Gesundheitswesens überwiegen aber die Nachteile und Gefahren. Die Ärztekammer sieht zu Recht eine Gefährdung des Datenschutzes der PatientInnen. Sie meint bezüglich ELGA, dass der zusätzlichen Bürokratie kein entsprechender Nutzen gegenüber stehe.
Letzteres stimmt in dieser Allgemeinheit nicht, denn es stellt sich die Frage, Nutzen für wen? Sicher nicht für die PatientInnen oder die medizinische Versorgung, aber Krankenkassenholding und Staat sichern sich mit ELGA den Zugang zu allen PatientInnendaten. Das kann für Lohnabhängige an sich schon problematisch werden, denn sind die Daten erst mal vorhanden, ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis öffentliche Stellen (als "Arbeitgeber" etc.) darauf zugreifen können. Und angenommen, in Zukunft würde das Gesundheitswesen weiter privatisiert werden, dann könnten private Anbieter auf all diese Informationen zugreifen. Das führt nicht nur zu gläsernen PatientInnen, so wird auch die Verschwiegenheitspflicht der ÄrztInnen ausgehebelt. Es ist auch durchaus vorstellbar, dass Großbetriebe mit eigenen BetriebsärztInnen beim Vorstellungsgespräch sanften Druck machen, die E-Card einzustecken, um so über etwaige Krankheitsrisken und somit Einstellungshindernisse informiert zu werden.
Perspektiven für das Gesundheitswesen
Die Gesundheitsreform von "Sozialpartnern" und Regierung bedeutet für die Lohnabhängigen eine Reihe von Verschlechterungen. So sehr die Beteiligung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung an dieser "Reform" Ausdruck ihrer völligen politischen Degeneration ist, so wenig handelt es sich um einen "gesundheitspolitischen Amoklauf", wie die Ärztekammer glaubt. Vielmehr bringt die Regierung die Interessen bestimmter Kapitalgruppen zum Ausdruck. Das liegt völlig auf der Linie der Durchsetzung der Marktlogik in allen Lebensbereichen. Die kapitalistische Begehrlichkeit macht eben nicht halt vor irgendwelchen "Daseinsbereichen", die verschiedene reformistische Freunde der "Marktwirtschaft" gern von deren Logik ausgenommen hätten.
Als SozialistInnen stellen wir uns natürlich gegen all diese Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse im Gesundheitsbereich. Wir machen dabei aber nicht den Fehler, die bisherige Situation zu idealisieren oder uns mit unseren Überlegungen im Rahmen des effizienter-Machens des bestehenden Gesundheitssystems zu bewegen. Wir denken, dass die gesamte Gesundheitsversorgung dem Zugriff des Kapitals entrissen werden muss. Wir sind für eine völlig kostenlose Versorgung der Bevölkerung mit allem Gesundheitsleistungen durch öffentliche Einrichtung unter der Kontrolle der ArbeiterInnenklasse. Finanziert werden kann das über höhere Steuern auf Kapital, Vermögen und Gewinne. Wir sind für die Enteignung privater Spitäler und die Durchführung der medizinischen Forschung durch öffentliche Institute unter Kontrolle der Beschäftigten und der ArbeiterInnenbewgeung, finanziert aus den Gewinnen der Pharmakonzerne.
Natürlich würden solche Schritte mit den KapitalistInnen und dem kapitalistischen System als solchem in Konflikt kommen. Das soll uns aber nicht stören. Wenn sich Konzerne querlegen, können sie enteignet werden. Wenn das kapitalistische System nicht in der Lage ist, den Menschen eine ordentliche Gesundheitsversorgung zu sichern, dann kann es ersetzt werden. Ja, das ist eine längerfristige Perspektive, und ja, dazu braucht es eine völlig andere ArbeiterInnenbewegung als die jetzigen handzahmen Figuren an der Spitze des ÖGB. Deshalb muss am Aufbau einer solchen kämpferischen, antikapitalistischen ArbeiterInnenbewegung gearbeitet werden. Dazu ist es unter anderem notwendig, für verschiedene politische Frage, z.B. zum Gesundheitswesen, grundlegende Vorstellungen zu entwickeln und zu verbreiten.
Dazu muss beispielsweise dagegen aufgetreten werden, dass Krankheit in der aktuellen öffentlichen Diskussion immer mehr auf eine rein individuelle Frage reduziert wird. Entsprechend dem neoliberalen Weltbild soll jede/r einzelne an der eigenen individuellen Gesundheitsoptimierung arbeiten. Die Gesellschaft soll so immer mehr aus der Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitglieder entlassen werden. Als SozialistInnen müssen wir aufzeigen, dass Menschen mit niedrigem Einkommen häufiger krank sind und auch früher sterben als Menschen mit höheren Einkommen, dass soziale Ungleichheit und Gesundheit untrennbar miteinander verbunden sind, dass die Arbeitsbedingungen und das Leben im Kapitalismus krank machen (einseitige Belastungen, Stress, Existenzängste...), dass der Kampf gegen Krankheit in vielen Bereichen letztlich auf einen Kampf gegen das kapitalistische System hinausläuft. Eine marxistische Debatte muss außerdem viele Grundlogiken des kapitalistischen Gesundheitssystems (notdürftige Kurierung von bereits Kranken und Behandlung von Symptomen), das vielmehr ein Krankensystem ist, in Frage stellen und über Vorsorgemedizin im weitesten Sinn nachdenken.