Nationalratswahl: Aus Sicht der Arbeiter/innen/klasse

 

September 2013

Der Wahlkampf läuft wie gewohnt über die Bühne. Parteien und Medien bieten das übliche Programm, dem man nur schwer entgehen kann. Die meisten Arbeiter/innen haben kaum Illusionen, dass sich durch die Stimmabgabe für sie etwas zum Positiven ändern wird.

Die vorherrschende Stimmung bei den meisten Lohnabhängigen ist die, dass die Politik sowieso immer nur für die Oberen und Reichen gemacht wird, dass alle Politiker/innen gleich und korrupt sind und dass man durch die Wahl ohnehin nichts beeinflussen kann. Viele Arbeiter/innen werden deshalb nicht zur Wahl gehen oder ohne Begeisterung eine Partei als kleinstes Übel oder aus Protest wählen.

Die Regierungsparteien

Die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP treten staatstragend auf und verteidigen eine kapitalfreundliche und arbeiter/innen/feindliche Politik, wie sie auch von der EU vorgegeben wird. Sie verkaufen die im Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) festgelegten Verpflichtungen zur Bankenrettung und Sparpolitik auf Kosten der Arbeitenden als alternativlos.

Die ÖVP plakatiert die Phrase "Willkommen Zukunft" und ihr Spitzenkandidat Spindelegger träumt davon "Kanzler für Österreich" zu werden. Ansonsten wiederholt die ÖVP die Lüge, dass eine "Entfesselung der Wirtschaft", also eine weitere Begünstigung der Firmen auch den Beschäftigten nütze, und warnt vor "Rot-Grün". Die ÖVP wird sicher ihre Kernschichten (Beamte/innen, Unternehmer/innen, Bauern/Bäuerinnen, bessergestellte Angestellte) erneut mobilisieren können, in der Arbeiter/innen/klasse wird sie erneut keine großen Erfolge haben.

Die SPÖ und Spitzenkandidat Faymann plakatieren inhaltsleer "Mit sicherer Hand für Österreich" und meinen, dass sich "Arbeit wieder lohnen" müsse. Angesichts dessen, dass die SPÖ seit 2007 den Kanzler stellt, fragen sich viele Arbeitende, warum sie nicht schon längst dafür gesorgt hat. Die Kapitalhörigkeit der SPÖ geht so weit, dass Faymann die von der ÖVP-FPÖ-Rechtsregierung einfgeführte "Gruppenbesteuerung" verteidigt hat, mit der Konzerne (angebliche) Verluste im Ausland in Österreich abschreiben können und so oft (fast) keine Steuern zahlen. Dennoch engagieren sich viele Basisfunktionäre/innen, trotz Kritik, weiter für die SPÖ und ihren Wahlkampf, denn sie sind oft an den Apparat der SPÖ gebunden. Und auch Teile der (gewerkschaftlich organisierten) Arbeiter/innen/klasse werden, aus Ablehnung gegenüber einer ÖVP-FPÖ-Regierung und mit zugehaltener Nase, SPÖ wählen.

Parteien der liberalen Mittelschichten

Die Grünen sitzen in Österreich bereits in fünf von neun Landesregierungen und wollen nun endlich auch auf nationaler Ebene mitregieren. Für dieses Ziel sind sie noch braver und angepasster geworden und weit nach rechts gegangen. In eine Zeit von Weltwirtschaftskrise und deren sozialen Folgen für die Arbeiter/innen/klasse ist der einzige diesbezügliche Slogan, den die Grünen breit plakatieren, "Wirtschaft geht auch ohne Freunderln". Und sie haben das Bankenrettungs- und Sozialabbauprogramm ESM unterstützt. Für die Arbeiter/innen erscheinen die Grünen als keine Alternative, von Student/inn/en, Akademiker/innen und städtischen Mittelschichten im Allgemeinen werden sie allerdings erheblichen Zuspruch haben.

Mit BZÖ, NEOS und Stronach trommeln drei bürgerliche Kleinparteien für noch mehr kapitalistische Deregulierung, damit die Lohnabhängigen noch besser ausgebeutet werden können. Das BZÖ versucht Kleinunternehmer/innen und Autofahrer/innen für sich zu gewinnen, hat unter Lohnabhängigen keine Resonanz und wird wohl nicht mehr ins Parlament kommen. Die NEOS, die vom Großkapitalisten Haselsteiner finanziert und von vielen bürgerlichen Medien gepusht werden, haben am ehesten Anhänger/innen unter den städtischen "modernen" Mittelschichten, denen die Grünen noch immer zu wenig rechts sind. Ihre Chancen auf einen Einzug in den Nationalrat sind ebenfalls gering.

Stronach und Strache

Der alternde Großkapitalist Stronach hat eine Wahlpartei aufgezogen, einige Abgeordnete vom BZÖ "eingekauft" und führt einen kostspieligen Wahlkampf um seine Person. Skurille Auftritte und Angriffe auf die EU mischen sich mit einer Betonung von Stronachs "Wirtschaftskompetenz" (= Ausbeutungskompetenz bei seinem Autozulieferer Magna) und Stimmungsmache gegen "Funktionäre" und Gewerkschaften. Obwohl Stronach soziale und Arbeitsrechte offen durch karitative Mildtätigkeit durch Reiche wie ihn (der seine Gewinne steuerschonend anderswo verbucht) ersetzen will und seine Vorschläge weitgehend arbeiter/innen/feindlich sind, werden ihn nicht so wenige Lohnabhängige wählen - weil seine Propaganda, dass er in Österreich Arbeitsplätze geschaffen habe, bei manchen ebenso verfängt wie seine persönliche Geschichte von einem, der es vom Werkzeugmacher zu Milliardär gebracht hat. Stronachs Liste wird es diesmal offenbar ins Parlament schaffen. Letztlich ist das aber ein Projekt mit Ablaufdatum; wenn Stronach endgültig senil wird oder stirbt oder ihm die Politik-Sache langweilig wird, wird die Episode dieser Liste zu Ende sein. Im aktuellen Wahlkampf sind die Regierung und das Establishment sicherlich auch froh, dass die Kandidatur Stronachs der FPÖ Stimmen kosten wird.

Die traditionell rechte und rassistische FPÖ ist die Partei, die in diesem Wahlkampf die soziale Frage am stärksten in den Vordergrund stellt. Sie plakatiert gegen "Banken und Spekulanten", ihr Spitzenkandidat Strache attackiert den ESM ebenso wie die konzernfreundliche Gruppenbesteuerung, prangert die Reallohnverluste der letzten Jahre an und kritisiert Kürzungen bei Pensionen und Pflegegeld. Die FPÖ fordert einen Mindestlohn von 1600 Euro und eine Erhöhung von Pensionen, Pflege- und Kindergeld. Finanziert werden soll das unter anderem durch eine "Solidar-Abgabe für Millionäre". Dem SPÖ-Spitzenkandidaten Faymann warf Strache vor eine "Marionette von Konzernen und Banken" zu sein. Es ist eine Schande für die (sozialdemokratisch dominierte) Arbeiter/innen/bewegung, dass die FPÖ diese sozialen Fragen derart besetzen kann.

Wenn auch moderater als früher, so spielt die FPÖ natürlich auch diesmal wieder die "Ausländer"-Karte. Sie wettert gegen "Asylbetrug", kriminelle Ausländer/innen und "integrationsunwillige" Türk/inn/en. Sie fordert die Ausweisung von kriminellen oder langzeitarbeitslosen Migrant/inn/en und will Sozialleistungen teilweise nur für österreichische Staatsbürger/innen. Gleichzeitig meint Strache auch, "kein vernünftiger Österreicher" habe etwas gegen Zuwanderer/innen, die sich integriert hätten, hier arbeiten und Steuern zahlen; anvisiert sind damit vor allem Migrant/inn/en aus dem ehemaligen Jugoslawien, die die FPÖ längst (und teilweise erfolgreich) als Wähler/innen entdeckt hat.

Natürlich betreiben Strache und die FPÖ mit ihrer "Ausländer-Politik" eine Spaltung der Arbeiter/innen/klasse entlang nationaler Linien. Und natürlich würde die FPÖ an der Regierung – wie schon nach der Jahrtausendwende – eine bürgerliche und arbeiter/innen/feindliche Politik betreiben. Trotzdem werden auch diesmal erhebliche Teile der Lohnabhängigen, besonders der Jungen, die FPÖ wählen - teilweise, weil sie selbst "gegen zu viele Türken" sind, zu großen Teilen aber auch wegen der von der FPÖ ins Zentrum gestellten sozialen Frage. Die meist ausgesuchte Feindseligkeit, mit der das liberale und kapitalhörige (mediale) Establishment gegen die FPÖ auftritt, lässt Strache die Rolle als Rebell und "Kämpfer für die kleinen Leute" noch glaubwürdiger spielen. Es ist damit zu rechnen, dass die FPÖ nicht nur an Stimmen zulegen, sondern auch ihren Einfluss unter Arbeiter/inne/n österreichischer, ex-jugoslawischer und osteuropäischer Herkunft ausbauen wird können.

Arbeiter/innen/bewegung

Die SPÖ betreibt seit Jahren und Jahrzehnten eine nahezu vollkommen kapitalkonforme Politik. Sie ist mit den Vorständen von Konzernen und Banken eng verflochten und agiert als Instrument der herrschenden Kapitalist/inn/enklasse. Wenn sie im Wahlkampf kurzzeitig "die Arbeiter" entdeckt, ist das völlig unglaubwürdig. Die weiterhin bestehende sozialdemokratische Dominanz in den Gewerkschaften wird vor allem als Flankendeckung für die SPÖ-Politik, zum Ruhighalten der Arbeitenden und zum Abdrehen von Kämpfen verwendet. Viele (auch kritische) Betriebsräte/innen ordnen sich im Wahlkampf wieder einmal der SPÖ-Führung unter, damit "ihre" Partei möglichst gut abschneidet.

Die KPÖ ist nur in der Steiermark ein Faktor unter den Lohnabhängigen. Überall sonst ist die KPÖ in den Betrieben und proletarischen Wohnvierteln kaum präsent. Das Resultat der mangelnden Verankerung sind Wahlergebnisse unter 1%. Die Ursache dafür sind nicht nur der jahrzehntelange westliche Antikommunismus und die (gerechtfertigte) Gleichsetzung der KPÖ mit den stalinistischen Diktaturen in Osteuropa durch viele Arbeiter/innen. Vielen Lohnabhängigen ist die KPÖ auch nie als Kämpferin für ihre Interessen erschienen - kein Wunder, denn die KPÖ ist oft staatstragend und patriotisch aufgetreten. Und der gegenwärtige Wahlkampf der KPÖ hat mit Klassenkampf gar nichts mehr zu tun. Die beiden Hauptslogans "Gleiche Rechte für alle Menschen" und "Widersprechen auch im Parlament" könnten von jeder linksliberalen Partei stammen.

Die antikapitalistischen und klassenkämpferischen Kräfte sind in Österreich schwach. Sie sind kaum in der Arbeiter/innen/klasse verankert und viele von ihnen entwickeln auch keine systematische Politik, um das zu ändern. Dementsprechend verfügen die Lohnabhängigen landesweit über kein Werkzeug zur Durchsetzung ihrer Interessen. In der Folge werden bei dieser Wahl auch die Arbeitenden, die mehr oder weniger ein Klassenbewusstsein haben, entweder ein vermeintliches "kleineres Übel" oder gar keine Partei wählen. Die Nichtwähler/innen werden auch diesmal wieder eine große Gruppe sein; unter ihnen werden sich besonders viele Arbeiter/innen befinden. Darunter sind solche, die desinteressiert und resigniert sind, aber auch solche, die sich durchaus richtige Gedanken machen, aber keine Alternative sehen.

Über die entscheidenden Fragen für die arbeitende Klasse wird ohnehin nicht bei Wahlen oder im Parlament entschieden. Jede Regierungskoalition, die nach dem 29. September gebildet werden wird, wird eine Politik für Konzerne und Banken machen. Die tatsächlichen Entscheidungen für die Lohnabhängigen werden im Klassenkampf fallen, insbesondere in den Großbetrieben. Dort gilt es für alle Revolutionäre/innen und alle klassenbewussten Lohnabhängigen, selbstorganisierte und kämpferische Strukturen aufzubauen und diese überbetrieblich und politisch in einer revolutionären Partei der Arbeiter/innen/klasse zu vernetzen. Das ist ein langfristiges Projekt. Es ist aber die einzige Möglichkeit, damit die Lohnabhängigen in der Gesellschaft eine Stimme haben und eine Kraft darstellen.

 

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