Russland

vom Ende der Sowjetunion zum neuen global Player


Marxismus-Broschüre Nr. 30, Februar 2010, 60 Seiten A5, 2,5 Euro (plus Porto)

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Vorwort

Die russische Gesellschaft hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine Serie gravierender Umbrüche erlebt. Mitte der 1980er Jahre sollte unter dem neuen KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost die bürokratisch deformierte Planwirtschaft reformiert und ein Weg aus der Sackgasse, in die sich herrschende stalinistische Bürokratie nach Jahrzehnten der Misswirtschaft manövriert hatte, gefunden werden. Nur wenige Jahre später war die Sowjetunion Geschichte. Etwas mehr als sieben Jahrzehnte waren seit der Oktoberrevolution von 1917, dem Höhepunkt der revolutionären Krise zu Ende des Ersten Weltkrieges, vergangen. 1991 hatte der Stalinismus mit dem Zusammenbruch der UdSSR endgültig und unwiderruflich seine Unfähigkeit demonstriert, eine nachkapitalistische Gesellschaft zu führen und weiter zu entwickeln.

Die anfangs noch bestehenden Hoffnungen, die als Nachfolgerin aus der Taufe gehobene Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) könnte das Erbe der UdSSR antreten, stellten sich sehr schnell als Illusion heraus. Zu unterschiedlich waren die Entwicklungsbedingungen, zu groß aber auch die jahrzehntelang aufgestauten Ressentiments gegenüber Russland.

Das Ergebnis war überall dasselbe: Die kapitalistische Konterrevolution hat in allen Nachfolgerepubliken – und darüber hinaus auch in den ehemaligen „Bruderstaaten" – gesiegt. Heute, zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer und fast 20 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion, sind in deren Nachfolgerepubliken die Transformationsprozesse schon längst abgeschlossen.

Allerdings haben die unterschiedlichen Bedingungen für eine Restauration des Kapitalismus auch zu unterschiedlichen Entwicklungswegen geführt. In Russland wurde über eine Kuponprivatisierung große Teile des Staatseigentums an die neuen Eigentümer/innen übertragen – mit der Schicht neureicher Oligarchen ist der Kern einer neuen Bourgeoisie entstanden. Auf der Strecke ist eine ganze Generation geblieben, die in der modernen bürgerlichen Terminologie als „Modernisierungsverlierer" bezeichnet würde – Rentner/innen am Existenzminimum, in die Unterbeschäftigung geschickte Arbeiter/innen ehemaliger Staatsbetriebe, eine um die Zukunft betrogene Jugend.

Und doch sind die Bedingungen für Russland, wenn wir von den in den exklusiven Club der Europäischen Union aufgenommenen baltischen Republiken einmal absehen, vergleichsweise noch die besten: Der ungeheure Rohstoffreichtum ermöglicht es Russland, neue außenpolitische Initiativen umzusetzen und (wenn auch noch in beschränktem Ausmaß) sich wieder als global Player ins Spiel zu bringen. Ob und inwieweit diese Ambitionen durch die globale Krise, von der auch Russland massiv betroffen ist, revidiert werden mussten, ist Teil dieser Broschüre.

In dieser Marxismus-Ausgabe finden sich vier Texte, die in den letzten Monaten auf der Website der RSO, der Revolutionär Sozialistischen Organisation, publiziert und alle von Manfred Scharinger verfasst wurden. Die ersten beiden Texte befassen sich mit der kapitalistischen Restauration in Russland – der erste Teil mit dem Ende der Sowjetunion und der zweite mit den dramatischen Umbrüchen der 1990er Jahre.

Daran schließen zwei stärker gegenwartsbezogene Texte an. Der erste beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf Russland, der zweite mit den neuen außenpolitischen Orientierungen, die Russland eine Rückkehr auf die Bühne der Weltpolitik ermöglichen sollen.

Alle vier Texte sind im Zeitraum der letzten Monate auf der RSO-Homepage erschienen, und wir haben uns entschlossen, sie ohne inhaltliche Änderungen hier abzudrucken und uns auf einige wenige stilistische Korrekturen zu beschränken. Bei der Durchsicht konnten wir feststellen, dass die darin getroffenen Aussagen im Wesentlichen nach wie vor aktuell und gültig sind. Nur weniges ist inzwischen überholt – am prominentesten wohl, dass sich inzwischen die gemeinsame Übernahme von Opel durch den Autozulieferer Magna und die russischen Sberbank zerschlagen hat. Inzwischen hat Daimler den Aufbau neuer Produktionsstätten in Russland angekündigt. Gleichzeitig bestätigen die Zahlen, die im Herbst 2009 veröffentlicht wurden, das düstere ökonomische Bild Russlands in der Krise – der Rückgang der Wirtschaft könnte 2009 bis zu 8,5 Prozent betragen.

Aktuell ist vor diesem Hintergrund nach wie vor einer der abschließenden Gedanken dieser Broschüre: Wie in anderen Ländern stellt sich auch für das russische Proletariat die Aufgabe der Abwehr der Krisenfolgen. Die Arbeiter/innen/klasse Russlands hat in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Veränderungen hinnehmen müssen. 1917 ist das Proletariat Russlands den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern vorausgeeilt – könnte die russische Arbeiter/innen/klasse wieder den Anschluss an ihre großen revolutionären Traditionen finden, wäre dies ein großer Fortschritt für die proletarische Bewegung weltweit.

Marxismus-Redaktion
Wien, im Dezember 2009