von Marx und Engels zur II. Internationale
revolutionäre Komintern, Stalinismus, IV. Internationale
Marxismus-Buchreihe Nr. 22, Wien 2003, 324 Seiten, 15 Euro, ISBN 3-901831-18-5
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Editorial
Seit dem Zusammenbruch des Stalinismus arbeiten die führenden imperialistischen Mächte an der Durchsetzung einer neuen Weltordnung. In der Folge nahmen auch die direkten imperialistischen Interventionen zu: Vom Golfkrieg 1990/91 über Bosnien, den Krieg gegen Jugoslawien und die Intervention in Afghanistan bis zum Krieg gegen den Irak 2003. Damit einher ging die Errichtung von imperialistischen Protektoraten in Bosnien und dem Kosovo, die de facto US-Militärherrschaft in Afghanistan, die imperialistische Militärpräsenz in Zentralasien und die Okkupation des Irak.
Das stellt auch für die Linke und die Arbeiter/innen/bewegung die Frage der (halb-) kolonialen Unterdrückung und des Kampfes dagegen noch deutlicher als bisher auf die Tagesordnung. Auch um auf die aktuelle Situation angemessen reagieren zu können, benötigt die radikale Linke ein marxistisches Grundverständnis der kolonialen Frage, und hierbei wird sie schwerlich um eine Auseinandersetzung mit den Klassikern herumkommen.
Genau dies leistet Manfred Scharinger mit dem vorliegenden Band zu koloniale Frage und Arbeiter/innen/bewegung. Von den Anfängen der Diskussion bei Marx und Engels entwickelte sich in der sozialdemokratischen II. Internationale eine Diskussion über die Kolonialfrage, die jedoch stark von paternalistischen Tendenzen geprägt war, in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg auch immer mehr von Konzeptionen einer positiven Kolonialpolitik. Diese Linie sollte von der Sozialdemokratie auch in der Zwischenkriegszeit weitergeführt werden.
Ziel der jungen kommunistischen Bewegung und der III. Internationale, der Komintern, war es, mit dieser bevormundenden Herangehensweise zu brechen und zu einer gleichberechtigten Perspektive von Kolonialrevolution und Revolution in den imperialistischen Ländern zu kommen: Für sie konnte der Weg der Revolution durchaus über Bombay, Shanghai und Teheran führen. Wie der Kongress der Völker des Ostens 1920 in Baku zeigt, war dies kein leeres Gerede, sondern der reale Versuch, auf die wichtige Rolle der kolonialisierten Länder für die Weltrevolution einzugehen. Neben diesen positiven Aspekten geht Scharinger aber auch den fragwürdigen Aspekten der kommunistischen Kolonialpolitik nach, etwa der Rolle der Sowjet-Diplomatie und des Bündnisses der Sowjetunion mit der kemalistischen Türkei, wo die Interessen der Weltrevolution tendenziell den außenpolitischen Zielen der Sowjetunion untergeordnet wurden.
Mit der Stalinisierung der Komintern beginnt eine systematische Unterordnung der Arbeiter/innen/parteien unter die Parteien der nationalen Bourgeoisie, die Unterstützung bürgerlich-demokratischer Parteien unter Aufgabe des eigenständigen Profils. Wohin dieser Weg führte, kann klar an der Niederschlagung des Arbeiter/innen/aufstandes in Shanghai 1927 durch die Truppen Tschiang Kaischeks gesehen werden. Gerade China, zeigt Scharinger, diente der Komintern immer wieder als wichtigstes Beispiel, wenn es um die Diskussion der Strategie in kolonialen und halbkolonialen Ländern geht. Ab Mitte der 1930er Jahre, mit dem Übergang der Komintern zum offenen Reformismus, entwickelte sie nun für die imperialisierten Länder eine neue „Taktik", die antiimperialistische Volksfront. Die kommunistische Bewegung der Kolonien wurde klar den opportunistischen Interessen der Parteien des Mutterlandes untergeordnet, auf die Forderung nach sofortige Unabhängigkeit verzichtet und letztlich die gesamte Kolonialrevolution dem Kampf gegen den Faschismus, also der Unterstützung der demokratischen Bourgeoisie, geopfert.
Als positiver Konterpart zur stalinisierten Komintern steht die Position Leo Trotzkis, der an der Kolonialpolitik der frühen Komintern anknüpft und sie, mit der Verallgemeinerung der Theorie der permanenten Revolution und dem konsequenten Anwenden des Gesetzes der ungleichen und kombinierten Entwicklung, weiterentwickelt, was sich auch in den zentralen Dokumenten der IV. Internationale niederschlägt.
Abschließend sei gesagt, dass für uns die Diskussion um die koloniale Frage ein Teilaspekt einer Diskussion des Gesamtkomplexes nationale Frage war; wir hoffen, das Ergebnis unserer Aufarbeitung dieses Themas in absehbarer Zeit präsentieren zu können.
Inhalt
Editorial (Stefan Neumayer)
Koloniale Frage und Arbeiter/innen/bewegung
von Marx und Engels zur II. Internationale –
revolutionäre Komintern – Stalinismus – IV. Internationale (Manfred Scharinger)
I. Marx, Engels und II. Internationale
Marx, Engels und die ökonomische Funktion des Kolonialismus
Die politische Seite der kolonialen Frage bei Marx und Engels
Zweite Internationale
Bernstein, die deutsche Sozialdemokratie und der Kolonialismus
Stuttgarter Kongress 1907 – offen ausgetragene Gegensätze
Tripolitanien und die Spaltung der italienischen Partei
II. Sozialdemokratie, Gewerkschaften und die koloniale Frage in der Zwischenkriegszeit
Ein uneinheitliches Bild der Sozialdemokratie
„Das Kolonialproblem" (Brüssel 1928)
Gewerkschaften und Kolonialismus
III. Koloniale Frage und frühe Komintern
Der theoretische Ausgangspunkt der Bolschewiki
Lenin, das Selbstbestimmungsrecht und die koloniale Frage
„Das revolutionäre Europa befreit die Kolonien" – I. Weltkongress
II. Weltkongress
September 1920 – Baku: Kongress der Völker des Ostens
III. Weltkongress
Arbeiter/innen/staat – Kemalismus: Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Sowjetdiplomatie und Komintern-Politik
Strukturen der Komintern und Fernostkongress (1922)
IV. Weltkongress
Die „Antiimperialistische Einheitsfront"
IV. Stalinistische Komintern, China und die koloniale Frage
Opportunismus und Kolonialbourgeoisie
Komintern-Sektionen in Kolonien und halbkolonialen Ländern
Komintern-Strukturen nach dem V. Weltkongress
Antiimperialistische Liga – eine koloniale Frontorganisation
Kolonial- und Agrarfrage
„Arbeiter- und Bauernparteien" und die Bauerninternationale
„Nationale Einheitsfront" oder „Arbeiter- und Bauernpartei"?
China: Vom „Block von außen" zum „Block von innen"
Klassencharakter der Guomindang...
...und die Konsequenzen
8. EKKI-Plenum: In der Guomindang bleiben
9. Plenum (1928) – Linkswendung der Komintern
Das Programm des VI. Weltkongresses (1928)
Die Kolonialdiskussion am VI. Weltkongress
„Dritte Periode" und Kolonialpolitik
VII. Weltkongress (1935): Antiimperialistische Volksfront...
Die Praxis der Klassenkollaboration
Die KPCh und die „Einkreisung der Städte durch die Dörfer"
Exkurs: Die Rote Gewerkschaftsinternationale und die
Kolonialfrage
V. Trotzki, die IV. Internationale und die koloniale Frage
1923/1927: Inkonsequenzen der „Vereinigten Opposition"
„demokratische Diktatur"...
... und permanente Revolution
Gesetz der ungleichen und kombinierten Entwicklung
Verteidigung kolonialer Länder gegen den Imperialismus
Den Sturz Tschiang Kaischeks vorbereiten!
Die eigene Regierung unterstützen, um China zu helfen?
Aber es geht doch um die Demokratie?
Nationalismus und Patriotismus unterdrückter Nationen
Demokratische und / oder sozialistische Aufgaben der Revolution
Unterschätzung der Bauernschaft?
Unabhängigkeit und Selbständigkeit?
Die Kolonialfrage in der IV. Internationale
Kolonialismus heute – die Methode Trotzkis
VI. Anhang
Dokument 1: Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm (1938 – Auszug)
Dokument 2: Leo Trotzki: Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution (1940 – Auszug)
VII. Zitierte Literatur
VIII. Personenverzeichnis