Die „Gruppe Oppositioneller Arbeiter“ (GOA) bei General Motors in Wien-Aspern 1983/84

 

Ein Beispiel für revolutionäre Betriebsarbeit in Österreich.
Eine Dokumentation.

Schulungstexte und Materialien Nr. 14

März 2013, 6 €

Bestellungen an: arka.org@gmx.at

 

Vorwort

Klassenkämpferische oder revolutionäre Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, also die Versuche, die Vorherrschaft des sozialdemokratischen Reformismus über die Arbeiter/innen/klasse in Frage zu stellen und eine proletarische Alternative zu entwickeln, ist vom größten Teil des „revolutionären Milieus" in Österreich mehr als vernachlässigt worden. Dies liegt zum einen natürlich einmal an der unbestrittenen Dominanz der Sozialdemokratie und ihres Gewerkschaftsflügels, der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter/innen (FSG) über den Großteil der Arbeiter/innen und Angestellten, die alle klassenkämpferischen Ansätze sehr schnell entweder zu vereinnahmen oder zu ersticken ermöglichte. Die starke Entwöhnung der Lohnabhängigen von klassenkämpferischen Aktivitäten konnte sich auch auf eine ziemliche Stabilität des österreichischen Kapitalismus stützen. Es gibt wohl nur wenige Länder in Europa, in dem ganze Generationen von Arbeiter/inne/n so stark wie in Österreich das sozialpartnerschaftliche Gift in sich aufgenommen haben und eigenständiger Kampferfahrungen beraubt wurden. Das ist die eine, die objektive Seite, die die Möglichkeiten klassenkämpferischer betrieblicher Ansätze begrenzte.

Die zweite Seite, die subjektive, liegt jedoch in der Struktur und der sozialen Zusammensetzung der österreichischen Linken selbst begründet. Die österreichische Linke, ein spätgeborenes und nicht voll entwickeltes Stiefkind der 68er Bewegung, war in den siebziger Jahren zu allergrößten Teilen auf den Universitäten konzentriert. In einigen Städten, wie in Salzburg, war die Linke, die sich selbst als „nichtreformistisch" oder als „revolutionär" definierte, nahezu identisch mit dem linken Uni-Milieu und wurde deshalb voll vom Niedergang der studentischen Protestbewegung getroffen. Man kann die These wagen, dass die österreichische „revolutionäre" Linke auch in ihrer Scheinblüte der siebziger Jahre nie wirklich – trotz aller Lippenbekenntnisse und gegenteiligen Behauptungen – über nennenswerten Einfluss auch nur in Teilen des Proletariats verfügte und auch kaum ernsthaft in diese Richtung arbeitete. Diverse Organisationen mit revolutionärem Anspruch waren dazu politisch und programmatisch nicht willens oder in der Lage.

Anfang der achtziger Jahre sah es kurze Zeit so aus, als ob sich – parallel zum Niedergang der Uni-Linken – eine fortschrittliche betriebliche Bewegung herauskristallisieren könnte. Der SPÖ-„Dissident" Skvarza in Judenburg, der Einzug der Breitmaulfrösche, genauer: der Liste aktiver Gewerkschafter (LAG), in den Angestelltenbetriebsrat des größten österreichischen Betriebes – der VOEST in Linz – schienen nur zwei Anzeichen unter einer Reihe von weiteren Indizien zu sein. Doch auch diese Ansätze einer Bewegung, die in den Alternativen Gewerkschaftern zu zentralisieren und aus der betrieblichen Isolierung zu heben versucht wurde, zerfielen wieder, wurden – wie die Bewegung in Judenburg – bürokratisiert oder überlebten als autonome betriebliche Gruppierungen, allerdings um den Preis der Isolierung, die nach dem Ende dieser „Aufbruchsstimmung" wieder voll einsetzte. Eine Ursache für dieses Scheitern war auch, dass es sich um „linksgewerkschaftliche" Ansätze handelte, die letztlich in einer reformistischen Vertretungslogik gefangen blieben, statt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen mit revolutionärer Politik zu verbinden.

In dieser Situation ist es umso wichtiger für alle, die ernsthaft versuchen, sich in der Arbeiter/innen/klasse zu verankern und betriebliche und gewerkschaftliche klassenkämpferische Ansätze zu stärken, von den wenigen Beispielen zu lernen. Die erste Voraussetzung dazu ist auf einer elementaren Ebene, diese Versuche klassenkämpferischer Betriebsarbeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen (oder besser: der Vergessenheit wieder zu entreißen) und damit einer Diskussion in der Arbeiter/innen/klasse (wieder) zugänglich zu machen.

Eines dieser Beispiele ist die Betriebsarbeit der Gruppe oppositioneller Arbeiter (GOA) bei General Motors in Wien-Aspern. Im relativ jungen Werk des 1908 gegründeten multinationalen Konzerns in Wien bildete sich Frühjahr 1983 eine kleine Gruppe von kämpferischen Arbeitern heraus. Am Beginn der Gruppe Oppositioneller Arbeiter stand die Solidarisierung mit den Kolleg/inn/en aus Opel-Bochum, die Anfang des Jahres 1983 kurzarbeiten mussten, während im eben erst gegründeten Wiener Werk Sonderschichten und Überstunden verlangt wurden. Weitere internationalistische Solidaritätsaktionen folgten – mit den Arbeitern im spanischen Saragossa etc. Von Anbeginn ihrer Existenz wurde die GOA mit der Notwendigkeit, internationale Solidarität zu leisten, konfrontiert.

Nach einer ersten Phase, in der Flugblätter verteilt wurden, begann noch 1983 – etwa ein halbes Jahr nach der Herausbildung der Gruppe – die GOA mit der Publikation der Betriebszeitung. Insgesamt erschienen im Zeitraum Mitte 1983 bis Dezember 1984, als die letzte Betriebszeitung herausgegeben wurde, 16 reguläre und mehrere Extra-Ausgaben.

Zwei der hier wiederabgedruckten Dokumente sind gemeinsam von der Gruppe Oppositioneller Arbeiter und einer politischen Organisation außerhalb von General Motors, der trotzkistischen Internationalen Kommunistischen Liga (IKL), herausgegeben worden. Hier zum Verhältnis von GOA und IKL nur so viel: Etwa seit Mitte 1983 unterstützte die IKL die GOA bei General Motors aktiv; durch die Hilfe bei der Verteilung der Flugschriften und der Betriebszeitungen und vor allem durch personelle Querverbindungen: Das IKL-Mitglied Peter Haumer spielte in der GOA eine zentrale Rolle, IKL-Aktivist/inn/en halfen von außen.

Schließlich gelang es dem Management beziehungsweise der Betriebsratsmehrheit, die GOA zu zerschlagen. Mit welcher Präzision hier vorgegangen wurde und wie vollständig die Repression war, zeigt allein schon die Tatsache, dass zwei Jahre später kein einziges der GOA-Mitglieder noch bei General Motors arbeitete. Der unmittelbare Anlass für die Einstellung der Aktivitäten war die Kündigung des tragenden Aktivisten Haumer am Vorabend der Betriebsratswahl am 19. Dezember 1984; die GOA hatte beabsichtigt, zu dieser BR-Wahl zu kandidieren. Der tieferliegende Grund war aber, dass es trotz großen Zuspruchs, dessen sich die Betriebszeitung in der Belegschaft erfreuen konnte (war sie doch die einzige Zeitung, die kritisch zu Vorgängen bei GM-Wien-Aspern Stellung nahm und „heiße Eisen" aufgriff), nicht gelungen war, diese (passive) Zustimmung für den Aufbau einer größeren und wachsenden Strömung im Betrieb nutzbar zu machen – die GOA blieb im Wesentlichen auf den kleinen Kreis von (immerhin) neun Aktivisten beschränkt, der die Gruppe seit ihrer Gründung im Frühjahr 1983 und ihrer Stabilisierung im Sommer desselben Jahres geprägt hatte. Es handelte sich dabei vor allem um jüngere Arbeiter aus einzelnen Abteilungen, die nicht die gesamte Belegschaft repräsentierten.

Neben den objektiven Schwierigkeiten soll hier kurz auf die eine oder andere politische Schwäche der Gruppe eingegangen werden. Zu einen verstand sich die GOA immer als Aktionseinheit verschiedener politischer Strömungen beziehungsweise als Gruppierung klassenkämpferischer Betriebsaktivisten aus verschiedenen politischen Lagern. Ob es nicht besser gewesen wäre, sich als Betriebsgruppe der IKL, die offen ist für andere klassenkämpferische Aktivist/inn/en, zu konstituieren und sich damit die Möglichkeit für klarere politische Propaganda zu geben, wäre zu diskutieren.

Zum anderen führte die GOA im Editorial der Betriebszeitung Nummer 1 aus, dass sie 10 Flugblätter herausgegeben habe und bei den Betriebsräten nicht sehr beliebt sei. Und weiter: „Wir arbeiten daher im Untergrund, machen Wühlarbeit oder wie man es immer nennen will. Wir finden das nicht weiter schrecklich!" Dabei kam eine gewisse ultralinke Theoretisierung von verdeckter Arbeit zum Ausdruck. Das erleichterte dem Betriebsrat die Denunzierung der GOA als unseriöse Gruppe, die „arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik" betreibe („Der Arbeiterbetriebsrat informiert", 14.3.1983). Ob eine von Anfang an legale, offene Arbeit bei GM – angesichts der massiven Repression von Leitung und Werkschutz, von Betriebsrat und Staatspolizei möglich gewesen wäre, ist natürlich fraglich. Die GOA versuchte schließlich, die verdeckte Arbeit der Anfangsphase zu überwinden – aber um einen sehr hohen Preis: der letztendlichen Zerschlagung der Gruppe, der es damit nie wirklich gelang, legal zu arbeiten.

Dabei zeigten sich natürlich Probleme, denen klassenkämpferische und revolutionäre Aktivist/inn/en in vielen Betrieben ausgesetzt sind: Tritt man von Anfang an, wo man noch keine Verankerung hat, offen auf, wird man unter irgendeinem Vorwand sehr schnell gekündigt. Startet man, um das zu verhindern (was keineswegs gelingen muss), ohne Verankerung und auf einer „weichen" politischen Grundlage eine Betriebsratskandidatur und wird tatsächlich gewählt, ist man sehr leicht in der Dynamik von linksgewerkschaftlicher reformistischer Vertretungspolitik drinnen und kommt oft nicht mehr heraus. Beginnt man mit verdeckter Arbeit, um zuerst einmal eine politische Verankerung in der Belegschaft zu schaffen, die die entscheidende Grundlage für alles weitere ist, muss man irgendwann den Weg in eine „legale", offene politische Existenz im Betrieb schaffen; und das ist nicht leicht.

Um es klarzustellen: Wir denken, dass trotz einzelner Schwächen, trotz einiger Unklarheiten (deren Aufzählung hier zu weit führen würde und die auch gar nicht die Absicht bei der Neuherausgabe war), die Intervention der GOA im Wesentlichen richtig war und ein wichtiger Ansatzpunkt zur Wiederherstellung klassenkämpferischer Betriebspolitik in Österreich sein könnte.

Die Dokumentation der Betriebsarbeit der GOA wurde bereits 1987 von Manfred Scharinger zum ersten Mal herausgegeben, damals noch im Rahmen der aus der IKL hervorgegangenen Gruppe Arbeiterstandpunkt (ASt). Da diese Erstveröffentlichung heute kaum mehr zugänglich ist, haben wir uns entschlossen, diese Neuauflage herauszubringen.

Die Leser/innen unserer Dokumentation können jedenfalls überprüfen, inwieweit es der GOA gelungen ist, den schwierigen Grat zwischen linkssektiererischem Hochhalten rrrevolutionärer Prinzipien und opportunistischer Anpassung an das momentan niedrige Klassenbewusstsein der österreichischen Arbeiter/innen und Angestellten zu bewältigen. Wie auch immer: Die Erfahrungen der GOA, die sehr klar anhand ihrer Publikationen nachvollzogen werden können, sind es wert, dokumentiert zu werden.

 

Manfred Scharinger und Eric Wegner