03. November 2009
Teile des Establishments loben die aktuellen Proteste an den österreichischen Unis, weil sie eine längst notwendige „Bildungsdebatte" angestoßen hätten. Das sollte zu denken geben! Hier einige Überlegungen zu dieser Debatte und den damit verbundenen bürgerlichen Bildungsidealen.
Die studentische Protestbewegung der letzten Wochen hatte Stärken und Schwächen. Eine Stärke war, dass sie zu den größten Mobilisierungen seit Jahren führte. Außerdem setzte sie ein Zeichen, dass man/frau sich auch angesichts der Krise wehren und die Regierung unter Druck bringen kann. Ihre Schwächen lagen in ihrer Strukturlosigkeit und den damit verbundenen politischen Konsequenzen (siehe unsere Zwischenbilanz der Uniproteste). Eine Schwäche sind aber auch die – unterschiedlich stark ausgeprägten – standesbornierten Züge bei so manchen Studierenden und vielen ihrer VertreterInnen, die sich wiederum auf ein zweifelhaftes Bildungsideal stützen.
Erhebliche Teile der Bewegung fordern einfach „mehr Geld für die Unis" oder „mehr Geld für die Bildung". Oft wird überhaupt nicht thematisiert, was für eine Art von Bildung das sein soll - das impliziert nichts anderes als ein Mehr der gegenwärtig stattfindenden Bildung. Und auch die Frage, woher das Geld kommen soll, wird in vielen Fällen nicht beantwortet. Vom Staat also, aus dem Budget. Durch Umschichtungen aus anderen Bereichen? Von den Arbeitslosen oder dem Gesundheitswesen, wo von den Regierungen gerne „gespart" wird? Das sagt natürlich kaum ein/e Studierende/r explizit, wenn die Forderung nach mehr Geld so unbestimmt daher kommt, ohne die Quelle zu nennen, kann das leicht eine arbeiterInnenfeindliche Schlagseite bekommen oder so wahrgenommen werden und jedenfalls eine Solidarisierung mit den Lohnabhängigen erschweren.
Als Hauptstoßrichtung der Großdemo am 28. Oktober konnte von der radikalen Linken in der Bewegung immerhin durchgesetzt werden, dass Geld für die Unis „statt für Banken und Konzerne" gefordert wurde. Das entsprechende Transparent wurde dann auch als Hauptslogan im besetzten Audimax montiert – gut so. Im sonstigen öffentlichen Auftreten, besonders von „VertreterInnen" gegenüber den Medien, geht dieser Aspekt aber meist verloren. Da ist dann nur noch von mehr Finanzmitteln für die Universitäten und von einer nebulosen „freien Bildung" die Rede, die der Staat mit mehr Geldern gewährleisten müsse.
Ein solches Auftreten ist natürlich ein willkommener Anknüpfungspunkt für Teile der bürgerlichen Medien, die über die Proteste so freundlich berichten, wie sie das über einen ArbeiterInnenstreik niemals täten, und positiv festhalten, dass dadurch endlich eine Bildungsdebatte ausgelöst worden sei, die für die österreichische Gesellschaft und den Wirtschaftsstandort Österreich – also für die österreichische Klassengesellschaft und ihr Gedeihen – so notwendig sei. Auch die RektorInnen der Unis und sogar die Wirtschaftskammer pflichten da bei und die Grünen fühlen sich bestätigt, sagen sie doch seit Jahren, dass mehr Geld für die Hochschulen entscheidend sei, um die Wettbewerbfähigkeit und Modernität der österreichischen Wirtschaft zu sichern.
Angebliche VertreterInnen der Protestierenden sind dann auch gleich willig zu einem „konstruktiven Dialog" mit diesen Herrschaften aus Politik, Univerwaltungen und Wirtschaft bereit. Ein gutes Beispiel dafür war die ORF-Sendung „Runder Tisch" am 30. Oktober, wo die ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer mit dem Wissenschaftsminister, dem TU-Rektor und einem Wirtschaftskämmerer schnell einen Konsens über die notwendige Bildungsdebatte fand. Ein freundliches SpezialistInnengespräch über eine zu niedrige AkademikerInnenquote in Österreich und darüber, wie eine stärker diversifizierte Studienwahl zu erreichen sei – bei einem allgemeinen Bekenntnis dazu, dass auch die so genannten „Orchideenstudien" von „der Gesellschaft" gebraucht werden, habe doch die Ostöffnung gezeigt, dass plötzlich auch sehr spezielle Sprachen für Karrieren von Vorteil seien. Von der Finanzierung auf Kosten der Banken und Konzerne und der Solidarität mit den Lohnabhängigen war keine Rede mehr.
Derartige brave und bornierte Auftritte von solchen VertreterInnen wie Maurer haben sicher die Unterstützung eines Teils der Studierenden. Es gibt aber durchaus auch kritischere Tendenzen, die sich deutlich gegen die massive Zurichtung der Unis auf Wirtschaftsbedürfnisse aussprechen, die für umfassende Allgemeinbildung, für „freie Bildung", für „kritische Wissenschaft" und eine „Demokratisierung der Unis" eintreten, die finden, dass die Aufgabe der Universitäten darin bestehen solle, „kritische Geister" hervorzubringen. Diese Kräfte kritisieren zwar den neoliberalen Umbau der Unis, sie hinterfragen aber kaum die grundsätzliche Funktion von Bildung und Unis im Kapitalismus. Sie verklären das alte bürgerliche Bildungsideal, haben naiv-aufklärerische Illusionen in ein Potential von akademischer Geisteswissenschaft zur Gesellschaftsveränderung und erkennen nicht, dass „freie Bildung" und „demokratische Unis" im Kapitalismus nicht vorgesehen, also ohne Überwindung des gesamten Ausbeutungssystems nur sehr beschränkt möglich sind.
Es ist natürlich kein Zufall, dass in akademischen Milieus solche Positionen entstehen. Linke Intellektuelle handeln mit Ideen und sie neigen dazu, die Bedeutung ihre Diskurse und ihre eigenen sozialen Gruppe in der Gesellschaft chronisch zu überschätzen. In Wirklichkeit haben wir es mit einem sehr widersprüchlichen Phänomen zu tun: Unis sind einerseits oft ein Nährboden für radikale Ideen und ein Barometer für gesellschaftliche Krisen, gleichzeitig sind die „kritischen Diskurse" auch ein Instrument zur Integration von kritischen StudentInnen in die Mechanismen des Systems. Losgelöst von einer gesamtgesellschaftlichen antikapitalistischen Bewegung, also einer kämpferischen ArbeiterInnenbewegung und einer revolutionären Linken, wird letztlich immer der zweite Aspekt die Oberhand gewinnen.
Das hängt auch damit zusammen, dass Studierende keine ausgebeutete/unterdrückte Klasse sind, sondern ein Stand, der sich aus Angehörigen verschiedener Klassen zusammensetzt. Aufgrund der sozialen Auslese des kapitalistischen Ausbildungssystems (in Österreich besonders) kommen überproportional viele Studierende aus der KapitalistInnenklasse, aus dem KleinbürgerInnentum, aus leitenden Angestelltenfamilien oder gebildeten BeamtInnenmilieus. Trotz einer gewissen Verbalradikalität in der Studienzeit, erleichtert durch die finanzielle Rückdeckung der Eltern, und einem oftmals liberalen Weltbild werden viele von ihnen letztlich wieder in ihrer Herkunftsklasse oder -schicht landen. Die Minderheit der Studierenden, deren Eltern unqualifizierte Beschäftige oder FacharbeiterInnen sind, setzten oft auf einen Aufstieg aus der ArbeiterInnenklasse, die durch das Studium erreicht werden soll; oft von den Eltern massiv gefördert, damit der Nachwuchs „was Besseres" wird. Trotz elenden Studierendenjobs und verschlechterten Berufsaussichten ist bei vielen StudentInnen weiterhin die Perspektive der einen oder anderen besseren Karriere stark in den Köpfen verankert – und das prägt auch die soziale und politische Identität wesentlich mit.
In diesem Sinne ist es nicht völlig falsch, wenn Minister Johannes Hahn zu den Protesten erstmal süffisant meint, so etwas gehöre zu einer studentischen Karriere ja irgendwie dazu. Robert Misik, heute liberaler Journalist und 1987 einer der (damals gewählten!) SprecherInnen der Unistreiks, fügte – in Hinblick auf seine Karriere und die einiger der damaligen KollegInnen – hinzu, dass man/frau sich über die Kosten der heutigen Besetzung nicht beschweren solle, denn die Selbstorganisation im Audimax bringe mehr als unzählige Managementseminare. Und die systemkonforme akademische Standesborniertheit kam auch bei der ÖH-Vorsitzenden Maurer zum Ausdruck, als sie sich am erwähnten „Runden Tisch" darüber empörte, dass bei der Studienberatung an Gymnasien in einigen Fälle die Empfehlung ausgesprochen worden sei, doch etwa „Hutmacherin" zu werden, wo es doch um „Stuuuudien" gehe; das Entsetzen über den ArbeiterInnenberuf war der obersten Studentin geradezu ins Gesicht geschrieben.
Aber auch wenn unter vielen Studierenden akademische Standesdünkel verbreitet sind, so trifft das doch nicht auf alle zu und es handelt sich auch nicht um einen Automatismus. Für Misik, damals Mitglied der linksradikalen Gruppe SOAL, waren seine Aktivitäten in der Bewegung gegen den Bundespräsidenten Kurt Waldheim 1986 und dann in den Uniprotesten 1987 und die daraus entstandenen Kontakte ins intellektuelle, politische und journalistische Establishment tatsächlich das Sprungbrett für seine journalistische Karriere und seinen Übergang zu prokapitalistischen Positionen, zu einem Unterstützer des Irakkrieges etc. AktivistInnen können sich aber auch anders entscheiden. Wie groß diese Minderheit, die für eine kontinuierliche antikapitalistische Politik gewonnen werden kann, jeweils ist, hängt insbesondere von der Intervention von revolutionären Organisationen und der Klarheit ihres Profils ab. Letzteres gilt auch und gerade für eine eindeutige Positionierung zu universitärer Standesborniertheit und bürgerlichen Bildungsidealen und damit Gewinnung dieser AktivistInnen für eine auf den Kampf der Lohnabhängigen ausgerichtete Politik.